Kein Managen ohne richtiges Werkzeug! – procure.ch

Kein Managen ohne richtiges Werkzeug!

Publiziert am Autor: Herbert Ruile

Für komplexere Situationen nimmt die Anzahl an vernetzten Tätigkeitsfeldern im Einkauf zu und auch die Werkzeuge selbst werden komplexer.

Der Einkauf ist zunehmender Komplexität ausgesetzt. Um nicht von ihr beherrscht zu werden, braucht es passende Werkzeuge. Reichen die bisherigen aus? Braucht es neue? Genügen einfache? Forschungsergebnisse eines Innosuisse-Projektes geben Ein- und Ausblicke in das Komplexitätsmanagement im Einkauf.

Die Internationalisierung der Lieferkette ist längst schon zur Normalität geworden, um dem intensiven Wettbewerbsdruck über Kosten und Innovation gerecht zu werden.

Die Covid-19-Krise hat zusätzlich transparent gemacht, wie stark die Schweizer Versorgung von internationalen Produktionskapazitäten und Produkten abhängig ist. Und sie hat auch gezeigt, wie anfällig diese Lieferketten gegenüber Störungen sind. 

Es kann deshalb kaum verwundern, wenn detaillierte Untersuchungen von Beschaffungsprojekten im internationalen Kontext eine Erfolgsquote von nur zwanzig Prozent aufweisen. Und das gemessen an der klassischen Erwartungshaltung: die richtige Ware in der richtigen Qualität in der richtigen Menge zum richtigen Preis zur richtigen Zeit. Es besteht aber hohe Unsicherheit darüber, worin die Ursachen liegen. Sicher ist, dass internationale Lieferketten eine hochkomplexe Situation für die Unternehmen darstellen. 

Ist also der Erfolg einer internationalen Beschaffung von den Fähigkeiten des Unternehmens abhängig, mit komplexen Situationen umzugehen? Welche Managementinstrumente sind dafür notwendig? Sind diese Instrumente im Unternehmen vorhanden und werden diese situationsgerecht eingesetzt? 

Interdisziplinäres Forschungsprojekt

Dies sind die Fragen eines dreijährigen interdisziplinären Forschungsprojekts, das an der Fachhochschule Nordwestschweiz mit den Wirtschaftspartnern Miebach Consulting AG sowie drei Vertretern aus der Maschinen- und Konsumgüterindustrie durchgeführt wurde.

Die gute Nachricht: Der Einkauf hat ein gutes Gespür für Komplexität. Mit zunehmender Erfahrung und Wissen können Einkäufer rasch und intuitiv eine Situation als komplex oder weniger komplex einschätzen. Die meisten erfahrenen Einkaufsleiter wissen, was in der jeweiligen Situation zu tun ist, um erfolgreich zu sein. 

Goethes Faust war ein Werkzeug

Um effizient und wirksam in der Beherrschung von Komplexitäten zu sein, braucht es unterschiedliche Werkzeuge, die situationsgerecht eingesetzt werden. 

Wir sprechen von dem Gesetz der Angemessenheit der Mittel. Je mehr Werkzeuge verfügbar sind, umso flexibler kann der Einkauf auf die jeweilige Situation reagieren und umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, erfolgreich zu sein. Bereits Goethe sagte: «Ein Mann, der recht zu wirken denkt, muss auf das beste Werkzeug halten.» 
Was aber sind Werkzeuge, was wird darunter verstanden? Der Begriff Werkzeug steht im engen Zusammenhang mit «Aufgabe», «Prozess», «Tätigkeit» und «Hilfsmittel»: Eine Beschaffungsaufgabe löst Tätigkeiten aus, denen spezifische Werkzeuge zugeordnet werden. Werkzeuge können Verfahren oder Methoden sein, zu denen es wiederum ein breites Sortiment an technischen Hilfsmitteln (zum Beispiel Software) gibt. 

So ist nicht selten auf die Frage «Was benutzen Sie im Einkauf für das Tätigkeitsfeld ‹Analyse des Beschaffungsmarktes›?» die Antwort zu hören: eine Internet-Suchmaschine. Gemeint ist also ein informationstechnisches (IT-)Hilfsmittel, das die Suche nach Informationen erleichtert. Das Managementwerkzeug dazu wurde jedoch übersprungen.

Im Forschungsprojekt wurden für einen einkaufsspezifischen Problemlösungszyklus mit sieben Schritten und 23 relevanten Tätigkeitsfeldern insgesamt 107 Managementwerkzeuge mit unterschiedlicher Komplexität identifiziert und im «Werkzeugkoffer des Einkaufs» beschrieben.

Den Werkzeugkoffer richtig einsetzen

Organisationen verhalten sich in angepasster Weise zu ihrem Umfeld. Sie sind mehr oder weniger komplex, in dem Ausmass, wie sie auf die Komplexität ihres Umfeldes reagieren. 

In weniger komplexen Situationen wird auch die Organisation weniger komplex sein. Da Komplexität unmittelbar mit Prozesskosten verbunden ist, verursacht eine weniger komplexe Organisation auch weniger Kosten: einfache Prozesse, wenige Tätigkeitsfelder, einfache Werkzeuge, klare Strukturen. Da Unternehmen unter Kostendruck stehen, werden sie versuchen, die interne Komplexität geringer zu halten als es die steigende Aussenkomplexität erfordern würde – mit fatalen Folgen. 

Im Forschungsprojekt wurden 33 Einkaufsexperten zum Management von unterschiedlich komplexen Beschaffungssitua-tionen befragt. Insgesamt wurden knapp 100 Einkaufssituationen in ihrer Komplexität erfasst. Die Analyse bestätigt, dass mit zunehmender Situationskomplexität auch eine zunehmende Komplexität in den Einkaufsorganisationen zu erwarten ist. Dies liegt vor allem daran, dass die Bedeutung und Vernetzung von Tätigkeitsfeldern mit der Komplexität der Situation  steigt. 

In einfachen Situationen kann sogar auf einzelne Tätigkeitsfelder gänzlich verzichtet werden und es genügen einfache Werkzeuge. Für komplexere Situationen nimmt jedoch die Anzahl an vernetzten Tätigkeitsfeldern im Einkauf zu und auch die Werkzeuge selbst werden komplexer. Das Problem ist: Obwohl sich der Einkauf der zunehmenden Komplexität bewusst ist, gibt es Anzeichen dafür, dass seine Kompetenz im Umgang mit komplexer werdenden Werkzeugen abnimmt.

Manager müssen Konsequenzen tragen

Für das Management des Einkaufs hat das Konsequenzen. Verantwortungsvolle Einkaufsmanager müssen sich zwingend um den Aufbau von situationsgerechten Organisationsformen (duale Systeme) kümmern, komplexere Werkzeuge schneller adaptieren und möglichst weiterentwickeln. Das alles bei einer fortwährend zunehmenden Informationsmenge – bedingt durch die digitale Transformation. 

Dadurch stehen vermehrt Entscheidungen an, die sich auf In- und Outsourcing von weniger komplexen Tätigkeitsfeldern zur Reduzierung der internen Komplexität beziehen. 

Mehr als achtzig Prozent der Unternehmen geben an, dass die Komplexität im Geschäftsumfeld weiter steigen wird und sie deswegen kreative und flexible Mitarbeitende benötigen. Das Management von Komplexität braucht nicht unbedingt kreative, sondern vor allem kompetente Einkäuferinnen und Einkäufer, die sich aus einem Werkzeugkoffer effizient bedienen können. 

Herbert Ruile

Prof. Dr. Ing. Herbert Ruile ist Geschäftsführer von Logistikum Schweiz, einem Bildungs- und Forschungszentrum für Einkauf, Logistik und SCM in Altdorf.
Herbert Ruile nimmt am ersten procure.ch Expert-Talk vom 23. Februar teil.