Empfehlungen für den Warenverkehr im Fall eines Hard-BREXIT – procure.ch

Empfehlungen für den Warenverkehr im Fall eines Hard-BREXIT

Publiziert am Autorin: Claudia Feusi

Das Vereinigte Königreich ist ein wichtiger Wirtschaftspartner der Schweiz. Die Schweiz verfolgt die sogenannte «Mind the gap»-Strategie. Sie will die bestehenden gegenseitigen Rechte und Pflichten auch nach EU-Austritt der Engländer so weit als möglich sicherstellen und allenfalls ausbauen. Ein unverbindlicher Überblick für Schweizer Unternehmen für den Fall eines Hard-Brexit

Grossbritannien ist unser sechstgrösster Absatzmarkt. Die Schweiz sei der siebtgrösste Absatzmarkt für britische Produkte. Bereits letztes Jahr einigte man sich in den Bereichen Luftverkehr, Strassentransport und Versicherungen. Im Dezember konnte durch ein weiteres Abkommen sichergestellt werden, das den Bürgerinnen und Bürgern der beiden Staaten den Status Quo im jeweils anderen Land (inklusive Aufenthalt) zusichert.

Die nachfolgenden Aussagen beziehen sich ausdrücklich auf den Warenverkehr aus Perspektive Schweiz, ausgerichtet und ausschliesslich auf die Variante Hard-Brexit ausgerichtet, aktuellster Wissenstand, und ist nicht abschliessend.

Zollabgaben

Durch die Unterzeichnung des bilateralen Handelsabkommens am 11. Februar dieses Jahres zwischen Bundesrat Guy-Parmelin und dem britischen Minister für internationalen Handel Liam Fox, ist im Warenverkehr für Vereinfachungen gesorgt. Es umfasst einen grossen Teil der bestehenden Handelsabkommen mit der EU. Dazu gehören das Freihandelsabkommen von 1972 und die Übereinkunft über das öffentliche Beschaffungswesen.

In Bezug auf Zollabgaben ist somit mit dem Freihandelsabkommen eine Anwendung von Zollpräferenzen sichergestellt. In diesem Zusammenhang gilt es jedoch zu beachten, dass zwischen dem UK und der EU entweder ein Freihandelsabkommen mit identischen Ursprungsregeln (was bei einem Hard Brexit nicht der Fall sein wird) oder zumindest ein Amtshilfeabkommen im Zollbereich bestehen muss, damit Vormaterialien mit Herkunft EU kumuliert werden können. Zurzeit ist noch unklar, ob es ein solches per 30.März 2019 geben wird. Dies wird erst sehr kurzfristig bekannt werden. Somit ist vom Worstcase auszugehen.

Unsere Empfehlung: Berechnen Sie zur unverbindlichen Risikoeinschätzung den Präferenziellen Warenursprung besser vorerst ohne Kumulation von EU-Vormaterialien.

Anwendbarer Zolltarif

Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat einen eigenen Zolltarif veröffentlicht, der nach dem EU-Austritt für die Wareneinfuhr in das Land gelten soll. Der veröffentlichte Zolltarif entspricht im Wesentlichen dem Zolltarif der EU. Ebenso steht ein eigenes Zollrecht von Grossbritannien bereits heute parat.

Unsere Empfehlung: Berechnen Sie zur unverbindlichen Risikoeinschätzung Ihre potentiellen Zollabgaben anhand des Zolltarifs der EU

Transportabwicklung

Da ab dem Zeitpunkt vom Brexit englische Ware als Drittlandware gilt, können Waren von/nach Grossbritannien nicht mehr mit EU-Status durch die EU transportiert werden. Die Einfuhrverzollung und somit auch Einfuhrsteuerabfertigung für Ware mit Endbestimmung Grossbritannien kann somit erst an der britischen Grenze stattfinden.

Es ist die Notwendigkeit einer Transitabfertigung zu erwarten, analog zu Warentransporten in andere europäische Ländern ohne EU-Mitgliedschaft wie beispielsweise Norwegen, Serbien oder der Ukraine. Dazu hat das Vereinigte Königreich vorgesorgt mit dem Beitritt zum Abkommen des Gemeinsamen Versandverfahrens. Somit können auch nach einem Brexit Versandverfahren mit Grossbritannien abgewickelt werden. In diesem Prozess sind insbesondere Spediteure gefordert.

Britische Mehrwertsteuer (Umsatzsteuer)

Ab dem Zeitpunkt können Waren von/nach Grossbritannien somit grösster Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr mit einer vereinfachten EU-Verzollung abgefertigt werden. Die relevanten Prozesse müssen umgestellt werden analog zu Warentransporten in andere europäische Ländern ohne EU-Mitgliedschaft wie beispielsweise Norwegen, Serbien oder der Ukraine.

Unsere Empfehlung: Prüfen Sie Ihre Rechnungsstellung und entsprechenden Vermerke in Hinblick auf die Umsatzsteuer. Stellen Sie sicher, dass Sie Ihre Abrechnungen schnell und lückenlos umstellen können.

Importprozess in Grossbritannien

Brexit: Im Falle eines «no-deal» Brexit tritt ein vereinfachtes Einfuhrverfahren in Kraft. Das Vereinigte Königreich teilte kürzlich mit, dass im Worstcase ein vereinfachtes Verfahren für die Einfuhr von EU-Waren in das Land gelte.

Die britische Zollverwaltung will bei der Einfuhr von EU-Waren für den Zeitraum von einem Jahr auf die Abgabe einer vollständigen Zollanmeldung sowie Zollzahlungen vorübergehend verzichten. Wir hoffen auf eine entsprechende Übernahme der Bestimmungen für Schweizerische Produkte.

Lücken des Handelsabkommens

Bislang hat Grossbritannien nur wenige Abkommen unter Dach gebracht, unter anderem mit Chile, Israel und den Färöer-Inseln.

Mit der Schweiz konnte man sich in den Branchen Pharma und Auto einigen, nicht aber abschliessend in der Maschinenindustrie. Beim Agrarabkommen konnte die Zulassung von Bioprodukten nicht endgültig geregelt werden. Der Veterinärbereich ist als kritisch einzustufen. Es könnte aktuell zu einem Unterbruch beim Handel mit Tieren und tierischen Produkten kommen. Dabei könnten in Grossbritannien im Worstcase sogar Versorgungsengpässe entstehen.

Der Grund für diese Lücken ist die Ausgangslage, dass Grossbritannien bisher von den Strukturen der EU profitiert hat. Die Briten müssen somit eigene Prüfstellen mit den entsprechenden Prozessen aufbauen. Diesen Punkt schätzen wir als kritischster Punkt eines Hard-Brexit ein.

Ferner zu Erwarten

Wir gehen davon aus, dass bei Lieferungen zwischen Schweiz und Grossbritannien aufgrund aktuellen Brexit-Stauprognosen mit massiven Lieferverzögerungen zu rechnen ist. Ebenso können mit grosser Wahrscheinlichkeit von Transport- und Verzollungsdienstleistern höhere Gebühren für die neu zu erbringenden Dienstleistungen als auch Mehrkosten durch neue Gebühren anfallen. Gut möglich sind auch Kosten und Verzögerungen infolge weiterführenden Sicherheitskontrollen beziehungsweise Vorausanmeldungen.

Unsere Empfehlung: Als Unternehmen lohnt sich die Überlegung, die Incoterms im Export auf FCA umzustellen, um die aufgeführten Kosten und Risiken auf den Käufer zu verlagern. Im Einkauf sollten Sie daher gegebenenfalls.den Kosten- und Risikoübergang gemäss Incoterms ebenso möglichst ausserhalb von Grossbritannien definieren. Ebenso ist die Aufstockung von Lagern in Grossbritannien für Topseller vor dem Brexit gegebenenfalls zielführend, um in der Anfangsphase noch lieferfähig zu sein.

Schweiz als Vorbild?

Es ist zwar Tatsache, dass sich die Briten ursprünglich für die Rahmenbedingungen zwischen Schweiz und der EU interessiert haben, jedoch war zumindest den Medien relativ früh zu entnehmen, dass England einen eigenen Weg anstrebt.  Es ist somit utopisch zu glauben, dass die Insel Schweiz ein Vorbild für die Briten ist. Infolge unserer eigenen besonderen Beziehung zur EU interessieren wir uns wiederum besonders für den Brexit.

Was die Schweiz unseres Erachtens lernen sollte - viele Schweizer merken hoffentlich jetzt, dass unsere eigenen Verträge mit der EU sinnvoll und notwendig sind, und keinesfalls gefährdet werden sollten.

Referentin Claudia Feusi

Claudia Feusi

Die Autorin ist ausgewiesene Aussenhandelsexpertin sowie Geschäftsführerin von «zollschule.ch», einer Zoll- und Aussenhandelsberatung für Schweizer Unternehmen.

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