Delikte im Beschaffungswesen – Müssen wir damit leben? – procure.ch

Delikte im Beschaffungswesen – Müssen wir damit leben?

Publiziert am Autor: Urs Zimmermann

Die mediale Berichterstattung der letzten Jahre zeigt, dass im Beschaffungswesen getrickst wird – auch in der Schweiz. Trotz beträchtlicher Imagerisiken steigt das Bewusstsein für Deliktpotenziale im Einkauf scheinbar nur langsam an. Dabei wäre eine wirkungsvolle Prävention möglich.

Haben Sie auch schon erlebt, von Lieferanten zu einem Sportanlass oder auf einen exklusiven Trip ins Ausland eingeladen zu werden?
Wenn Einkäufer von Lieferanten gezielt umworben werden, geht es in der Regel um die Gewinnung von Aufträgen. Diese Beeinflussungsversuche erlauben Mitarbeitenden in Einkaufsfunktionen, sich selbst oder Dritten Vorteile zu verschaffen.
Die Grenzen zwischen angemessener Beziehungspflege und deliktischem Verhalten verlaufen allerdings fliessend. Längst nicht immer geht die Initiative für krumme Geschäfte von der Lieferantenseite aus. Auch Einkäufer können mit gezielten Signalen zu regelwidrigem Verhalten anstiften.

Hohe Dunkelziffer

Dass in manchen Kulturen Bestechung verbreitet ist, nehmen wir zur Kenntnis. Tatsache ist aber, dass Delikte im Einkauf auch in der Schweiz verübt werden.
Betroffen sind Beschaffungen der öffentlichen Hand wie auch solche bei privatrechtlichen Unternehmen. Bei Letzteren ist die Dunkelziffer aus zwei Gründen aber hoch: Die verschärften Normen zur Privatbestechung sind erst seit Mitte 2016 in Kraft und damit noch sehr jung. Davor war Bestechung von Privaten legal, so lange sie nicht zu Wettbewerbsverzerrungen im Sinne des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb führte. Zum anderen fürchten Unternehmen negative Publizität und arbeiten aufgedeckte Vorkommnisse oftmals nur intern auf.

Vielfältige Erscheinungsformen

Vielerorts verfügen Unternehmen heute über Einkaufsrichtlinien. Deliktisches Verhalten im Einkauf stellt damit zuerst einmal einen Verstoss gegen diese dar.
Jedoch qualifiziert sich nicht jede Verletzung als deliktisches Verhalten. In einer strafrechtlichen Betrachtung ist ausschlaggebend, ob die Richtlinien mit der Absicht der Bereicherung oder der Gewährung eines Vorteils für einen Dritten übertreten werden.


«Deliktpotenziale in der Beschaffung gezielt zu adressieren, schützt Mitarbeitende vor einem Generalverdacht.»
 


Die Erscheinungsformen von deliktischem Verhalten sind vielfältig. Exemplarisch drei Beispiele:
Anpassung der Spezifikationen: Spezifikationen für Güter oder Dienstleistungen werden bei Beschaffungen so definiert, dass sie spezifisch auf das Marktangebot eines bevorzugten Anbieters passen. Dafür wird eine unlautere Gegenleistung vom Lieferanten erwartet.
Freigabe von überhöhten Rechnungen: Freigabeberechtige Mitarbeitende geben überhöhte Rechnungen zur Zahlung frei. Motivation dafür kann die mit dem Lieferanten abgesprochene Beteiligung am erzielten Erlös sein.
Aufteilung geleisteter Arbeitsstunden auf mehrere Projekte: Externe Mitarbeitende rapportieren geleistete Arbeitsstunden auf mehrere Aufträge mit unterschiedlichen Zuständigkeiten aufseite des beauftragenden Unternehmens. Kontrollen sind damit erschwert, und vertraglich definierte Obergrenzen für Entschädigungen pro Arbeitstag könnten umgangen werden.

Steigende Anforderungen

Das insgesamt steigende Bewusstsein zu den Risiken aus regelwidrigem Verhalten im Einkauf führt mancherorts dazu, dass präventive Massnahmen verstärkt werden. Dieser Trend wird unterstützt durch den Straftatbestand der Unternehmenshaftung. Aus diesem resultiert die Anforderung, dass Organisation und Regelwerke der Beschaffung angemessen ausgestaltet sein müssen. Das heisst, dass alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen zu treffen sind, um das Unternehmen gegen deliktisches Handeln zu schützen.
Der Weg zur Prävention gegen deliktisches Verhalten in Einkaufsfunktionen beginnt mit dem Überprüfen der eigenen Beschaffungsprozesse. Dabei interessiert, wo und in welchem Ausmass in den Prozess Involvierte Gelegenheiten haben, sich regelwidrig und potenziell deliktisch zu verhalten. In der Vergangenheit hat diese sehr spezifische Betrachtungsweise bei der Einführung von Beschaffungsprozessen zumeist nur eine untergeordnete Rolle gespielt.

Präventive Massnahmen

Aus einem umfassenden Katalog möglicher Präventionsmassnahmen werden nachfolgend einige einfache Beispiele angeführt.

  • Beschaffungsgovernance: Mitarbeitenden im Einkauf soll verbindlich das erwünschte Verhalten aufgezeigt werden. Der Beschaffungsgovernance kommt daher zentrale Bedeutung zu. Wer sich bewusst anders als erwünscht verhalten will, soll dies im Wissen tun, einen Regelverstoss zu begehen.
  • Tool-gestützte Massnahmen: Viele Unternehmen setzen bereits seit Jahren auf digitalisierte Beschaffungsprozesse. Mit der Implementierung von Beschaffungstools einher geht der Zwang für die Nutzer, vordefinierte Prozesse und Methoden einzuhalten. Abweichungen dazu sind in den Tools entweder gar nicht umsetzbar, oder sie hinterlassen einfach auswertbare Spuren.
  • Rotieren von personellen Zuständigkeiten: Bei langjährigen Beziehungen zu Lieferanten entwickeln sich oftmals persönliche Bande zwischen Lieferant und Einkäufer. Letzterer kann dabei in einen Loyalitätskonflikt zwischen Treue zum Arbeitgeber und sozialer Verpflichtung gegenüber dem Lieferanten geraten. Periodisches Rotieren von Zuständigkeiten für Lieferanten kann unter Umständen Abhilfe schaffen.

Allerdings wird mit jeder Regelung und präventiven Massnahme der gesamte Beschaffungsprozess aufwendiger und tendenziell langsamer. Gerade deshalb sollte jedes Unterneh-
men bewusste Entscheidungen treffen, wie sie mit Deliktpotenzialen im Einkauf umgehen will, und daraus für sich das richtige Mass an Regulierung und Prävention ableiten.

Urs Zimmermann

Der Betriebswirtschafter ist Managing Director der Procurement Partner AG. Das Unternehmen mit Sitz in Bern, Zürich und St. Gallen ist Kooperationspartner von procure.ch. Der Artikel basiert auf der Masterarbeit des Autors, die er im Rahmen des MAS Economic Crime Investigation der Hochschule Luzern erstellt hat.

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