3 Fragen, 3 Experten: Digitale Transformation – procure.ch

3 Fragen, 3 Experten: Digitale Transformation

Publiziert am Autor: Mario Walser

Drei Experten über die Chancen und Risiken der digitalen Transformation

Welche Hürden gilt es unternehmens­intern zu meistern, um die digitale Transformation der Lieferkette voranzutreiben?

Gian-Marco Caggia: Unternehmensintern gilt es, eine integrale End-to-End-Sicht zu etablieren. Dabei geht es darum, die bereichsspezifischen Sichtweisen und Präferenzen aufzulösen und diese einer Gesamtlösung unterzuordnen. Die digitale Transformation durchdringt die ganze Lieferkette und ist darauf angewiesen, dass alle am Prozess beteiligten Einheiten und deren Mitarbeitende in gleichem Masse den damit einhergehenden Wandel verstehen und mitgehen.

Christoph Weber: Grosse Investitionen insbesondere im Bereich IT. Da nur teilweise Standards definiert sind, müssen oft individuelle Lösungen erarbeitet werden. Dies ist zeitlich wie kostenmässig aufwendig. Auch organisatorische Fragen müssen geklärt werden. Die Zusammenarbeit zwischen den Partnern in den Lieferketten wird enger. In gewissen Branchen ist eine Umsetzung teilweise gar nicht realistisch.

Stephan Böhm: Ich denke, dass der «Faktor Mensch» sehr zentral ist – sowohl was «harte» Kompetenzen (beispielsweise im Bereich Data Analytics, Verständnis und Einsatz von neuen Technologien) als auch was eher «weiche» Einstellungen und Verhaltensweisen angeht (zum Beispiel Unterstützung des Wandels). Nur wenn Unternehmen in beiden Bereichen aktiv werden (beispielsweise durch Rekrutierung und Fortbildung), können sie den digitalen Wandel meistern.

Welches sind für Sie die Schlüsseltechnologien der digitalen Transformation?

Gian-Marco Caggia: Zu den Schlüsseltechnologien gehört sicher das IOT (Internet der Dinge), bei dem sich intelligente Objekte durch Erfassen und Verarbeiten von Informationen auszeichnen. Big Data wird zur Analyse von grossen Datenmengen eingesetzt. Auch Systeme wie BIM (Building Informa­tion Modelling) oder Sharing-Plattformen (Peer-to-Peer) werden in der digitalen Transformation eine zentrale Rolle einnehmen.

Christoph Weber: Der wichtigste Technologieschub kam mit dem breiten Erfolg der Internettechnologie. Diese erschloss neue Märkte und erhöhte die Transparenz. Auch der mobile Zugang zu Informationen ist wesentlich. Wo wir früher von relevanten Kundengruppen sprachen, betrachten wir heute den einzelnen Kunden, analysieren dessen Verhalten und Bedürfnisse und müssen ihm spezifische Angebote unterbreiten.

Stephan Böhm: Die digitale Transformation speist sich aus meiner Sicht aus dem Zusammenspiel von Faktoren, die erstmals gleichzeitig vorliegen. Hierzu zählen globale Vernetzung und Kommunikation in Echtzeit, quasi unlimitierte Rechenpower, das Zusammenführen und Speichern von komplementären Daten sowie vor allem intelligente Algorithmen, die irgendwann zu «broad artificial intelligence» führen könnten.

Die Digitalisierung scheint neue Chancen mit sich zu bringen. Welche Risiken gehen damit einher?

Gian-Marco Caggia: Die grosse Herausforderung liegt im Bereich der Informations- und Datensicherheit. Bereits heute sind Cyberattacken leider an der Tagesordnung. Produzenten und Administratoren von den genannten Schlüsseltechnologien sind gefordert, auch entsprechende Sicherheitsvorkehrungen anzubieten, damit solche Attacken schadlos bleiben!

Christoph Weber: Für den Handel ist der persönliche Kontakt noch immer sehr wichtig. Dieser ermöglicht andere, auch einfachere Lösungswege. Für den standardisierten Verkaufsfall eignet sich der digitale Weg. Doch sobald man davon abweicht, gewinnt der persönliche Kontakt an Bedeutung. Serviceleistungen können meist nicht ersetzt werden. Für KMU sind spezifische Lösungen oft zu kostspielig, denn diese rechnen sich nur ab gewissen Mindestvolumina.

Stephan Böhm: Im negativen Szenario könnte es zu einer «Dehumanisierung» von Arbeit kommen mit einem hohen technologischen Anpassungsdruck für die Beschäftigten. Ferner könnte ein erheblicher Verlust an Arbeitsplätzen drohen mit profunden Auswirkungen auf unsere Sozial-, Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme, die grundlegend neu gestaltet werden müssten. Der Mensch müsste seine Rolle in der Wertschöpfung neu finden.

Stephan Böhm
Titularprofessor für Betriebswirtschaftslehre und Direktor des Center for Disability and Integration, HSG, St. Gallen

Christoph Weber
Präsident Schweizerischer Stahl- und Haustechnikhandelsverband,
CEO Arthur Weber AG, Seewen

Die Experten

Gian-Marco Caggia
Leiter Einkauf, Supply Chain und
Produk­tion, SBB Infrastrktur, Bern

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