Zuviel Bürokratie: Gruss vom Amtsschimmel – procure.ch

Zuviel Bürokratie: Gruss vom Amtsschimmel

Publiziert am Autor: Roland Wirth

Der Volkswirtschaftler Roland Wirth untersucht seit vielen Jahren mit kritischem Blick Wirtschafts- und Finanzfragen. Heute zeigt er auf, weshalb Bürokratie nicht immer schlecht sein muss, aber immer eine Frage des gesunden Masses ist.

Ob Staat, Unternehmen, Sportverein oder Kunstausstellung: Alle Lebensbereiche sind von Bürokratie durchdrungen. Jede Bürokratie führt ein mehr oder weniger ausgeprägtes Eigenleben. Und drängt, wie alles Leben, zu Wachstum und Vermehrung; nicht unbedingt zu Gunsten der Kunden (im Unternehmen) oder der Bürger (beim Staat), sondern häufig für sich selbst. Diese Tatsache wurde 1955 zum ’Parkinsonschen Gesetz’ verdichtet, dessen Kurzform lautet: ’Arbeit dehnt sich in dem Masse aus, wie Ressourcen für ihre Erledigung zur Verfügung stehen.

Es sei trotzdem zugegeben, dass wir uns ganz ohne Bürokratie noch in der Steinzeit befänden, es braucht sie sicherlich. Nur wo ist die Grenze zwischen Gut und Böse?

  1. Bürokratie, die den Alltag verbessert, ist gut. Es ist sicherlich nichts gegen die Bewilligungspflicht für automatische Feuerwaffen oder die Buchführungspflicht der Unternehmen einzuwenden. Ich würde sogar sagen, die unbestritten hohe architektonische Qualität in der Schweiz habe ihren Ursprung im bürokratischen Wunsch, das Erscheinungsbild der Ortschaften staatlich zu verwalten.
  2. Bürokratie, die kaum Auswirkungen auf den Alltag hat, ist eine Ressourcenverschwendung und damit bereits ein wenig böse. Man denke an Stadtverwaltungen, deren Angestellte mangels IT-Masterplan noch 2019 damit beschäftigt sind, Listen auszudrucken und sie für eine andere App abzutöggelen. Oder an Personalabteilungen in Grosskonzernen, die reglementarisch korrekt aufwändige Assessements durchführen, obwohl längstens klar ist, wer die Stelle kriegt.
  3. Bürokratie, die sogar schadet, ist definitiv böse. Die lobende Erwähnung baupolizeilicher Bürokratie bei Punkt 1 war gewagt, werden doch Immobilienbesitzer häufig bis aufs Blut geplagt mit Verhindern und Verteuern. Bürokratisch überbordet ist auch die ISO-Zertifizierungsbranche. Im Wunsch zu wachsen, werden jedes Jahr die Anforderungen verschärft, längst ohne Bezug zur Praxis. Konnten früher dank Zertifizierungen tatsächlich Prozesse verbessert werden, lautet das Motto der Firmen nun «Augen zu und durch» und es wird zu Papier gebracht, was abgehakt werden will.

Es ist eine Frage des gesunden Masses, wieviel Bürokratie sinnvoll ist. Glücklich die Gesellschaft oder die Unternehmung, die sich auf die erste Kategorie beschränkt – dort lebt und arbeitet es sich angenehm. Wachsamkeit ist geboten: Wenn eine Organisation dem Wasserkopf nicht aktiv und andauernd Mittel entzieht, wird sie sich über kurz oder lang in verkrusteter Ineffizienz wiederfinden.

Roland Wirth

Roland Wirth

Der promovierte Volkswirtschaftler kennt die Bildungswelt aus unterschiedlichen Funktionen und ist als Dozent für Volkswirtschaftslehre am Puls der Wirtschafts­politik. Er ist Geschäftsführer und Rektor der Kaderschule Zürich, welche die Anbieterin des PWA-Wirtschaftsprogramms und der Lernplattform elob ist.

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