Die Einkaufs-Kuratorin – procure.ch

Die Einkaufs-Kuratorin

Publiziert am Autor: Mario Walser

Die gebürtige Österreicherin Nina Müller (52) absolvierte ein Masterstudium in International Business Administration an der Wirtschaftsuniversität in Wien und startete ihre Karriere bei Wolford im Bereich Marketing und Vertrieb. 2005 wechselte sie zu Swarovski. Unter anderem war sie bis 2010 als Head of Retail Concepts und Retail Marketing Director tätig. Ab 2011 verantwortete sie als General Manager den Aufbau einer neuen Marke innerhalb von Swarovski. Ab 2016 war Nina Müller CEO von CHRIST Uhren und Schmuck. Seit April 2020 ist sie Mitglied der Gruppenleitung und Chief Executive Officer der Jelmoli AG.

Seit dem 1. April 2020 ist Nina Müller die CEO von Jelmoli. Inmitten des Corona-Lockdowns hat die gebürtige Österreicherin das Zepter im Glaspalast an der Zürcher Bahnhofstrasse übernommen. Die Pandemieturbulenzen bringen die erfahrene Retail-Managerin nicht ab von ihrer Mission, das älteste Warenhaus der Schweiz nachhaltig fit für die digitale Zukunft machen.

Frau Müller, wie erklären Sie einem Laien das Geschäftsmodell von Jelmoli? 

Wir sind der älteste und traditionsreichste Department Store der Schweiz. Uns gibt es seit bald 190 Jahren. Wir bieten ein Sortiment von mehr als zwei Millionen Artikeln von 1000 Marken auf sechs Etagen und insgesamt 24000 Quadratmetern an. Wir bewegen uns im Premium- und Luxussegment. Bei Jelmoli sprechen wir jeweils von verschiedenen Welten – beispielsweise von der Sportwelt, der Damenwelt oder der Beautywelt. Bei uns finden Kunden alles unter einem Dach. Rund 40 Prozent der Shops sind bei uns eingemietet, 60 Prozent der Shops betreiben wir selbst. 

Wie breit ist Ihr Beschaffungsportfolio?

Ein Grossteil der zu beschaffenden Produkte entfällt auf die Bereiche Fashion, Beauty, Sport, Lebensmittel und Home & Living. Bei einer solch grossen Anzahl zu beschaffender Artikel müssen sowohl unser Head of Buying André Myburgh und seine zwölf Einkäuferinnen und Einkäufer als auch ich eine Kuratoren-Funktion wahrnehmen. Denn unser grosses Sortiment basiert auf einer sorgfältigen Auswahl und Zusammenstellung.

Wie unterscheiden sich die Beschaffungsprozesse, beispielsweise im Bekleidungsbereich, zu früher?

Aufgrund der nun schon seit Monaten andauernden, der Pandemie geschuldeten Lage fand und findet ein Grossteil der Beschaffung natürlich auf digitalem Weg statt. Wir haben inzwischen digitale Tools zur Verfügung, auf denen professionelles Bild- und Videomaterial der Lieferanten zu finden ist. Bei Produkten, die wir schon länger führen, ist das relativ unkompliziert, weil wir die Lieferanten kennen und die Prozesse eingespielt sind. Geht es um neue Produkte, ist die Herausforderung grösser. Sobald etwa Stoffe dunkelblau oder schwarz sind, ist es schwer zu erkennen, ob etwas wattiert oder gesteppt ist. Deshalb fordern wir vorab Swatchcards an. Das ermöglicht es uns, zumindest den Stoff anfassen zu können. Gerade jetzt zeigt sich, wie essenziell das grosse Know-how und die langjährige Erfahrung unserer Beschaffungsprofis sind. Unsere Einkäuferinnen und Einkäufer wissen, wer mit welchen Materialien wie umgeht. Das ersetzt den Kontakt vor Ort mit den Lieferanten und den Kollektionen natürlich nicht.  

Gab und gibt es zeitliche Verschiebungen?

Generell hat sich alles nach hinten verschoben. Vergangenes Jahr haben wir die meisten Kollektionen erst in der dritten Juniwoche einkaufen können. Also rund drei bis vier Wochen später als üblich. Der Grund war, dass viele Lieferanten ihre Musterkollektion nicht rechtzeitig fertigstellen konnten. Wir mussten zudem gleichwohl ab und zu nach Mailand oder Paris fahren, was aber wegen der wechselnden Quarantänebestimmungen sehr herausfordernd in puncto Koordination war.  

Der Bekleidungsbereich richtet sich nach Trends. Was passiert mit der Ware, die Sie nicht verkaufen konnten? 

Es gab natürlich Bekleidung, die wir mit Preisreduktionen verkaufen mussten. Bei anderen Produkten nahmen die Lieferanten die Ware kulanterweise zurück. Die meisten grossen Marken arbeiten mit Outlets zusammen und können die Ware so noch einmal abbauen.  

Lohnt sich das Kuratieren noch, oder sind Warenhäuser ein vom Aussterben bedrohtes Geschäftsmodell?

Es wird auch in Zukunft Warenhäuser geben. Auch wenn sich die Konsumgewohnheiten geändert haben. Kunden schauen zuerst online und informieren sich, und gehen dann ins Geschäft. Oder umgekehrt. Genau deshalb werden der Austausch und die Beratung vor Ort noch wichtiger. Ein Kaufhaus besucht man wegen des sinnlichen Einkaufserlebnisses. Und gerade Jelmoli ist in Zürich eine Destination, wo man sich trifft. Wenn wir einen exzellenten Service bieten, kann kein Webshop mit uns konkurrieren. Auch die onlineaffinsten Shopper schätzen es sehr, wenn sie Produkte anfassen können. Der Lockdown hat gezeigt, dass ein rein digitales oder virtuelles Leben für niemanden befriedigend ist.

Wie verbinden Sie offline und online für ein optimales Kundenerlebnis? 

Unser Haus soll noch lebendiger werden. Unsere Flächen brauchen noch mehr Abwechslung. Beispielsweise mit immer wieder wechselnden Pop-up-Stores. Wir haben im vergangenen Jahr zudem unsere drei neuen Jelmoli Concept Stores im Airside Center und im Circle, in der Nähe des Flughafens, eröffnet. Die Kunden finden dort in unseren kompakten Läden fast die vollständige Palette unseres Flagship-Stores an der Bahnhofstrasse in Zürich. Einige Produkte liefern wir sogar innerhalb von rund 30 Minuten an Abholzonen innerhalb des Flughafens aus. Viele Produkte, die wir führen, sind auch im Online Store erhältlich.   

Wo kann der stationäre Handel vom Onlinehandel lernen? 

Der Onlinehandel kann äusserst schnell Kundenwünsche erfassen. Das hat er dem stationären Handel noch voraus. Wir wollen uns via Omni-Channel-Ansatz über alle Kanäle und die gesamte Customer-Journey hinweg, mit unseren Kunden austauschen. Es ist elementar, unser Business aus Kundensicht zu verstehen.    

Wie wichtig ist die Nachhaltigkeit? 

Nachhaltigkeit ist als zentraler Faktor und Kernwert Teil unserer Firmenphilosophie und auch in der Gesamtstrategie von Jelmoli verankert. Viele wichtige Meilensteine wurden in der Vergangenheit bereits aufgegleist und werden laufend weitergetrieben und implementiert. Nachhaltigkeit ist uns ein grosses Anliegen. Das fängt bei den Lieferanten an und hört bei den Verpackungen auf. Wir spuren bereits nachhaltig vor, wenn wir wirtschaftlich, umweltschonend und sozialverträglich beschaffen. Generell sollten Rohstoffe möglichst lange im Verwertungskreislauf gehalten werden, um natürliche Ressourcen zu schonen und die Umweltbelastung zu reduzieren. So erfüllen wir die Prinzipien einer nachhaltigen Beschaffung – auch im Bereich Transport und Logistik. Wir arbeiten hier beispielsweise mit einem Logistikunternehmen zusammen, das gasbetriebene Lastwagen bei und für uns einsetzt. Dies erhöht zum einen die Reichweite und senkt gleichzeitig die Treibstoffkosten.   

Und wie äussern sich die Nachhaltigkeitsbestrebungen im Warenhaus?

Auch hier sind wir nachhaltig aktiv. Seit 2019 ist unser Sortiment beispielsweise komplett pelzfrei. Zudem haben wir im Zürcher Haus eine Secondhand-Station eingerichtet. Wir bieten hier als erster Department Store der Schweiz Second-Hand an – und setzen auch so ein Zeichen in Sachen Nachhaltigkeit.  

Wie müssen Ihre Lieferanten  in puncto Nachhaltigkeit aufgestellt sein?

Bei der Beschaffung von Lebensmitteln stehen für Jelmoli ökologische, bei Textil- und Haushaltsprodukten vor allem soziale Aspekte im Vordergrund. Gerade weil die Arbeitsbedingungen in den globalen Produktionsländern teilweise problematisch sein können, sehen wir es durch unsere Positionierung im oberen Marktsegment als Verpflichtung, nicht nur mit den weltweiten Lieferanten, sondern auch mit den in Europa tätigen Produzenten in einem engen Austausch zu stehen. 2019 haben wir ein System zur Vereinheitlichung der Einkaufsverhandlungen eingeführt. In diesem werden die Kriterien der Nachhaltigkeit und Ethik speziell berücksichtigt.

Wie wirken sich die Pandemie und die Erfahrungen daraus langfristig auf den Einkauf aus? 

Kurz gesagt – Nachhaltigkeit kommt vor Trends. Nach Corona wird das Konsumverhalten ein anderes sein. Ich persönlich hoffe sogar, dass wir wegkommen von der Wegwerfgesellschaft. Der Einkauf kann hierzu einen wichtigen Teil beitragen. 

Jelmoli

Rund 4,5 Millionen Personen frequentierten 2020 das national bekannte, bereits 1899 gegründete Traditionshaus an der Bahnhofstrasse in Zürich. Jelmoli beschäftigt über 1000 Mitarbeitende und erwirtschaftete 2020 einen Umsatz von 118,7 Millionen Schweizer Franken (inklusive Mieter). Jelmoli wurde 2009 von Swiss Prime Site, der grössten kotierten Immobiliengesellschaft der Schweiz, übernommen.