Fachkräftemangel: Vom Arbeitgeber zum Match-Maker – procure.ch

Fachkräftemangel: Vom Arbeitgeber zum Match-Maker

Publiziert am Autor: Ralf Schneider

Führt der Fachkräftemangel zu Lieferengpässen wie bei Corona?

Fehlende Fachkräfte, doppelte Belastung: Der Fachkräftemangel fordert den Einkauf heraus. Die Ursache wird derzeit vor allem der Pandemie und dem Ukrainekrieg zugeschrieben. Aber zu welchem Anteil ist der Fachkräftemangel selbst generiert? Was sind konkrete Massnahmen für Unternehmen? Eines vorweg: Prozesse zu digitalisieren und Quereinsteigende einzuschulen reicht nicht aus.

Ende 2022 waren in der Schweiz über 120 000 Stellen unbesetzt – der Fachkräftemangel ist de facto allgegenwärtig – über viele Branchen und Industrien hinweg. Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, geeignete Fachkräfte zu rekrutieren, während qualifizierte Arbeitskräfte Mühe haben, eine passende Stelle zu finden. Es besteht häufig eine Diskrepanz zwischen den Fähigkeiten und Qualifikationen, die Arbeitnehmende mitbringen, und den Anforderungen der Arbeitgebenden.  

Hausgemachter Fachkräftemangel?

Untersuchungen diverser Fachverbände und Unternehmensberatungen zeigen, dass insbesondere Industrieunternehmen und Logistikdienstleister mit anhaltendem Fachkräftemangel zu kämpfen haben. 

Es nützt nur wenig, dem bestehenden Team weiter Durchhalteparolen auszugeben oder plötzlich auftauchende Lücken ausserplanmässig und kurzfristig, aber oft nur wenig nachhaltig, mit Quereinsteigenden zu stopfen.

Adconia, ein international tätiges Beratungsunternehmen für Einkauf, Supply Chain und Value Chain, führt die Hauptgründe für den Fachkräftemangel im Einkauf und in der Supply Chain auf eine unzureichende Positionierung der Einkaufsabteilungen, mangelhafte mittelfristige Planung sowie die fehlende Förderung von Potenzialträgern zurück. 

Wenn wir den Beratungsexperten Glauben schenken dürfen, ist der Mangel an Fachpersonal im Einkauf hausgemacht. Vier Beoba­chtungen unterstützen diese These: 

  1. Interner Wettbewerb: Es werden häufig die Positionen frei, deren Stelleninhabende kontinuierlich vermehrt in die Verantwortung gezogen werden.  
  2. Unklare Erwartungen: Einkaufsprofis müssen sich mit sich ständig ändernden Erwartungen der oberen Hierarchieebenen auseinandersetzen. Zum Beispiel wird verlangt, dass sich der Einkauf stärker auf Asien ausrichtet, nur um einige Monate später gefragt zu werden, warum immer noch alles in Asien eingekauft wird.
  3. Hoher Digitalisierungsdruck: Als ob der Druck auf die Fachkräfte im Einkauf nicht schon hoch genug wäre, kommen oft noch die Anforderungen einer schnellst- und bestmöglichen Digitalisierung der Einkaufsprozesse hinzu. Bevor neue Software und Systeme eingesetzt werden können, müssen diese implemeniert und die Mitarbeitenden geschult werden. Sind die digitalen Massnahmen nicht strategisch und umfassend in die Unternehmenskultur und -prozesse integriert, führt dies zu mehr Chaos denn Struktur – und erhöht den Druck auf die Fachkräfte weiter.
  4. Keine zentrale Personalbeschaffung: Wer Arbeitskräfte dezentral beschafft, hat keinen adäquaten Marktzugang, nicht genügend Marktüberblick, arbeitet wenig effizient, bündelt keine Ressourcen, nutzt die Vorteile einer einheitlichen Vorgehensweise nicht und hinkt in puncto «Employer Branding» gewaltig hinterher. Zudem vergibt man sich so auch die Chance, Fachkräfte innerhalb des Unternehmens über Abteilungsgrenzen hinweg einzusetzen und zu fördern. 

Es ist fraglich, ob begehrte Fachkräfte freiwillig in einem solchen Umfeld arbeiten wollen – und unter diesen Bedingungen langfristig auch gute Leistungen erbringen können.

Arbeitsmarkt im Wandel 

Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert. Nicht zuletzt hat die Pandemie zu einem enormen Fachkräftemangel in Branchen wie Gastronomie und Gesundheitswesen geführt. Viele Fachkräfte haben aufgrund der unsicheren Zukunftsaussichten ihren Arbeitsplatz oder gar die Branche gewechselt oder sind aus dem Beruf gänzlich ausgestiegen, um sich um ihre Familien zu kümmern. 


Mit der zunehmenden Globalisierung sind Fachkräfte zudem mobiler und haben mehr Möglichkeiten, in anderen Ländern oder aus dem Homeoffice zu arbeiten. Unternehmen stehen daher in einem globalen Wettbewerb um hoch qualifizierte Arbeitskräfte und sollten den demographischen Wandel nicht vernachlässigen. Der Anteil älterer Arbeitnehmender steigt und gleichzeitig treten weniger junge Menschen in den Arbeitsmarkt ein. Dies führt zu einer Verknappung des verfügbaren Arbeitskräfteangebots. 

Letztlich ist der Fachkräftemangel im Einkauf aber nicht nur auf externe Faktoren zurückzuführen. Wenn der Einkauf als attraktives Berufsfeld nicht ausreichend bekannt ist, wird er von potenziellen Fachkräften auch nur als wenig attraktiv angesehen, was zu einem begrenzten Bewerberpool führt.

Mit der fortschreitenden Digitalisierung und Automatisierung steigt die Nachfrage nach Fachkräften mit spezifischem technischem Know-how. Die Anforderungen an Fachkräfte im Einkauf werden dadurch immer spezialisierter und umfangreicher. Es kann zur Herausforderung werden, Kandidaten mit den erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten zu finden, insbesondere in Bereichen wie dem internationalen Einkauf oder der Lieferantenentwicklung.

Unzureichende Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen können potenziell interessante Fachkräfte davon abhalten, sich für die ausgeschriebene Stelle zu entscheiden.

Unternehmen sind gefordert

Unternehmen müssen handeln, um mit den Herausforderungen des Fachkräftemangels umzugehen. Aber wie? Sie können sich mit ganz konkret und kurzfristig umsetzbaren Massnahmen zunächst intern optimieren und so auch als Arbeitgebende in eine bessere Position bringen. Beispielsweise indem sie das Entwicklungspotenzial der Mitarbeitenden analysieren  und fördern – das kann unter anderem durch «Blended Coaching» geschehen, einer Mischung aus verschiedenen Coaching-Techniken (vor Ort und auch online). 

Wer die Einführung neuer digitaler Ressourcen im Unternehmen professionell umsetzen und seine Mitarbeitenden entsprechend schulen will, kann auf Interim Manager setzen. Das sind erfahrene Führungskräfte, die  für eine begrenzte Zeit eingesetzt werden, um spezifische Managementaufgaben zu übernehmen.
Versuchen Sie generell, sowohl im Bewerbungsverfahren als auch bei Ihren Mitarbeitenden ein offenes Ohr in Bezug auf die Bedürfnisse des Gegenübers zu haben.

Um den Fachkräftemangel im Einkauf anzugehen, ist es wichtig, sowohl die externen als auch die individuellen internen Einflussfaktoren zu kennen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wer ein gutes Arbeitsumfeld bietet, der erhöht seine Chancen gewaltig, im Kampf um die begehrten Fachkräfte (im derzeitigen Nachfragemarkt) den Zuschlag zu erhalten. 

Schaffen Sie attraktive Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, bieten Sie attraktive Karrierepfade an und entwickeln oder intensivieren Sie Ihre Massnahmen zur Talentgewinnung und -bindung. Nur so können Sie im Wettbewerb um die besten Fachkräfte mithalten und auch erfahrene Mitarbeitende langfristig binden. 

Ralf Schneider

Ralf Schneider war mehr als 19 Jahre in Supply-Chain-Funktionen tätig. Im Jahr 2020 hat er schliesslich TOM PARKER gegründet. Der Personalberater und sein Team helfen Unternehmen dabei, die besten Talente in den Bereichen Einkauf und Supply Chain zu gewinnen.