Ganzheitliche Cloud-Beschaffung – procure.ch

Ganzheitliche Cloud-Beschaffung

Publiziert am Autor: Hansjörg Bühler

Die richtigen Bausteine optimal zu beschaffen ­– ­das gelingt dann, wenn IT und Einkauf zusammenspannen.

Sourcing- und Cloud Services sind massgebende Erfolgsfaktoren für die digitale Transformation. Die Beschaffung ist anspruchsvoll und verlangt ein Grundverständnis dieser Technologien und Services. Welche neuen Denkmuster sind hilfreich und unterstützen die Zusammenarbeit von IT und Einkauf?

Wir leben in einer Zeit der grossen Veränderungen wie Klimawandel, Wirtschaftskrisen, politische Unsicherheit, Verbrauchertrends, rasender Technologiewandel, und natürlich gehört auch Corona dazu. Wir leben in einer «VUCA»-Welt. VUCA ist ein Akronym für die englischen Begriffe volatility (Volatilität), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit). 

Viele Unternehmen haben in den letzten zwölf Monaten drastische Digitalisierungsschritte unternommen und erlebten, dass die IT zum überlebensnotwendigen, ja sogar differenzierenden Erfolgsfaktor geworden ist. Einige Unternehmen wurden völlig überrascht, mussten von heute auf morgen Homeoffice-Arbeitsplätze anbieten, zum Teil mit privaten PCs – was oft zu aufwendigen Notfall-Konfigurationsübungen und Anschlüssen an unsichere Homenetzwerke führte. Dies brachte enorme Mehraufwendungen im Business und der IT mit sich. 

Die Risiken, welche die Unternehmen damit eingehen, sind zu oft in der Geschäftsleitung nicht bekannt. Nicht wenige Unternehmen mussten dabei erfahren, was es heisst, von Hackern erpresst oder lahmgelegt zu werden.

Dank Services wie M365, Zoom, SaaS (Software as a Service), PaaS (Plattform as a Service), IaaS (Infrastructure as a Service), FaaS (Function as a Service), IoT (Internet of Things), welche in verschiedenen Cloudformen verfügbar sind, konnten viele Unternehmen die Krise meistern oder gingen sogar gestärkt aus ihr hervor.
In Zukunft werden mit grosser Wahrscheinlichkeit Unternehmen ihre Resilienz durch Digitalisierung massgebend verbessern, was sich in der Steigerung des EBITS, der Marktagilität und einer erhöhten Produktivität manifestieren wird. Was bedeutet dies nun für den Einkauf?

Grundlagen und Voraussetzungen 

Wie bei vielen Veränderungen durch Technologien ist ein gewisses Grundverständnis für die Technologie, die Anwendungsfälle, die Chancen und Risiken eine wesentliche Voraussetzung für das Erkennen von Handlungen, die JETZT zu initialisieren sind.
 Es bedarf eines gemeinsamen Verständnisses der Geschäftseinheiten, IT und Einkauf über die relevanten Begriffe wie Public Cloud, Private Cloud, Hybrid Cloud, Multi-cloud, Managed Cloud. «Vor lauter Bäumen wird oft der Wald nicht mehr gesehen», wie man so schön sagt. Es wird aus verschiedenen Perspektiven und Kontexten miteinander diskutiert und argumentiert, ohne zuerst die Begrifflichkeiten sowie ein gemeinsames Grundverständnis zu schaffen.

Ebenso ist es zentral, dass Sourcing- und Cloud-Entscheidungen auf der Agenda der Geschäftsleitung stehen sowie die Ziele klar definiert werden, denn die strategischen Auswirkungen daraus sind gewaltig. Die Entscheidungsgrundlagen sind idealerweise gemeinsam mit IT, Einkauf und Business zu erarbeiten.

Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden künftige Innovationen vor allem in der Cloud (Public) zu attraktivem Preis-Leistungs-Verhältnis verfügbar. Cloud Services nicht auf dem Radar zu haben ist zugleich ein Verzicht – bewusst oder unbewusst – auf einen grossen Anteil an Innovationen. Dies bedeutet auch, Businesschancen anderen zu überlassen.

Veränderung im Einkauf

In der klassischen IT-Welt konnten die Leistungen und Preise, insbesondere im Infrastrukturbereich (Server, Storage, PC, Netzwerk), relativ einfach verglichen werden. Mit «shift und lift» in die Public Cloud zu gehen, also das eigene Datacenter einfach durch ein «Public Cloud Datacenter» zu ersetzen, greift zu kurz. Damit wird kein geschäftlicher Mehrwert generiert, geschweige denn noch substantielle Kosteneinsparungen ermöglicht. 

Ebenso ist ein klassischer Preis-Leistungs-Vergleich auf Ebene IaaS (Infrastructure as a Service) ein «altes Denkmuster», das hier wirkungslos ist. Die Einkaufskompetenz muss anderweitig ihre Wirkung entfalten. Warum ist dem so? 

Gesetzmässigkeiten und Mechanismen 

Das Cloud-Computing funktioniert anders, hat ganz andere Merkmale, Gesetzmässigkeiten und Mechanismen. Herausragende Merkmale kommen in einem reinen Preis-Leistungs-Vergleich nur unzureichend zum Tragen, wie beispielsweise die schnellere Bereitstellung neuer Funktionen und Fähigkeiten, die Erhöhung der Ausfallsicherheit, der Datensicherheit, der Verfügbarkeit, der Interoperabilität, Portabilität und des Automatisierungsgrads. Auch die einfachere Integration in andere Web- und Cloud-Apps, die Steigerung der Prozessintelligenz, die Nutzung von bestehenden Investitionen, die Agilität und Skalierbarkeit vorhandener Anwendungen muss verbessert werden. 

Die Eigenheiten eines Cloud-Preismodelles sind viel differenzierter. In klassischen IT-Systemen sind die vorhandenen Ressourcen oft entweder kurz vor der Überlastung oder werden nur zu 20 bis 40 Prozent ausgelastet. In der Cloud wird der Workload automatisch überwacht und die Ressourcen adäquat und zeitnah nachgefahren. Die Verrechnung der Ressourcen und Services erfolgt automatisiert, verursachergerecht und transparent. Es gilt das Prinzip Pay-per-use, also es entstehen keine Vorhaltezahlungen, Capex wird zu Opex.

Die grossen Einsparpotenziale liegen nicht im Ressourcenpreis (Storage, CPU, Memory), sondern werden mit Gestaltungsmöglichkeiten wie automatischem Volumenrabatt (bis zu 10 Prozent), der Reservierung von Ressourcen (zwischen 15 und 70 Prozent) sowie durch laufende Optimierung der Ressourcen erzielt.

Journey to the Cloud

Die Gestaltung der Reise in die Cloud wird zum Schlüsselfaktor. Die strategischen Entscheide, was wann in welche Cloud transferiert respektive umgebaut werden soll, ist mitunter der kostentreibende Faktor und bestimmt den Zeithorizont, die Risiken sowie das erforderliche Management of Change im Unternehmen.

Das «alte Denkmuster», die Journey to the Cloud vom Schreibtisch aus zu planen und in einem Pflichtenheft niederzuschreiben sowie dann auf möglichst viele, attraktive Angebote zu warten, passt nicht mehr in die heutige Welt.

Vielversprechender ist ein agiles Beschaffungsverfahren, bei welchem in kürzester Zeit und ohne grosse Aufwände einige wenige Anbieter qualifiziert werden. Mit diesen Anbietern wird dann gemeinsam die Reise gestaltet, die Leistungen und Preise verhandelt sowie schlussendlich einem Anbieter der Zuschlag erteilt. 

Stärken Sie Ihre Einkaufskompetenz, werden Sie zum wertvollen Partner des Business und der IT. Probieren Sie die neuen Denkmuster aus, die «alten» werden Sie nicht mehr erfolgreich und glücklich machen. 

Hansjörg Bühler

Der dipl. Ing. HTL mit Nachdiplomstudien als Wirtschafts- und Betriebsingenieur ist Geschäftsführer und Inhaber der Firma Soberano-Sourcing GmbH. Als Strategieberater, Dozent und Coach für die Themen Digitalisierung, Informatik, Sourcing und Cloud begleitet er Führungskräfte und unterrichtet an Hochschulen