Inflation bremst nicht übermässig – procure.ch

Inflation bremst nicht übermässig

Publiziert am Autor: Claude Maurer

Eine rasche Rückkehr zur Normalität im Einkauf ist zudem nicht in Sicht: 80 Prozent der Einkaufsmanager gehen davon aus, dass die Rückkehr zum Normalzustand erst im kommenden Jahr oder noch später erfolgen wird.

Noch überwiegt die positive Dynamik infolge der Aufhebung der Corona-Massnahmen, weshalb das Wirtschaftswachstum 2022 überdurchschnittlich stark ausfallen sollte (+2,5 Prozent). Für 2023 erwarten wir indes eine Verlangsamung auf 1,6 Prozent.

Das Bruttoinlandprodukt (BIP) in der Schweiz hat im ersten Quartal 2022 gegenüber dem Vorquartal um ein halbes Prozent zugelegt. Damit hat sich die Wachstumsdynamik trotz der Omikron-Welle und dem Einmarsch Russlands in die Ukraine gegenüber dem Schlussquartal 2021 beschleunigt. 

Die Massnahmen zur Viruseindämmung haben die Wirtschaft weniger stark gebremst als in früheren Viruswellen, zudem wurden die meisten Mitte Februar aufgehoben. Das BIP liegt nunmehr 2,4 Prozent über dem Niveau von vor der Pandemie. 

Die positive Dynamik infolge der vollständigen Aufhebung der Corona-Massnahmen dürfte das Wirtschaftsgeschehen auch in den kommenden Monaten prägen. Gemäss unseren Schätzungen wird der Wachstumsbeitrag der Massnahmenaufhebung an den privaten Konsum im zweiten Quartal rund doppelt so hoch ausfallen wie im ersten Quartal. 

Der Dienstleistungs-PMI, der die Entwicklung im konsumorientierten Dienstleistungssektor misst, notiert denn auch seit Februar deutlich in der Wachstumszone. 

Und selbst wenn sich der Verlauf der Pandemie nicht prognostizieren lässt, deuten die Erfahrungen der vergangenen Wellen darauf hin, dass sich der wirtschaftliche Schaden einer allfälligen weiteren Welle im Herbst in Grenzen halten sollte. 

Solider Arbeitsmarkt stützt Konsum

Der Krieg in der Ukraine wiederum spiegelt sich bislang in stark gestiegenen Energie-
preisen sowie einer Eintrübung der generellen Konsumentenstimmung wider. Gemäss Konsumentenstimmungsumfrage von April werden die Erwartungen zur künftigen Wirtschaftsentwicklung markant negativer beurteilt als noch im Januar. 

Hingegen werden die individuellen Aussichten auf dem Arbeitsmarkt als einiges besser wahrgenommen – eine direkte Folge des starken Beschäftigungswachstums und der sinkenden Arbeitslosenquote. Die eigene Erwerbssituation ist demnach trotz diffuser Konjunktursorgen gut – und Erstere ist in der Regel entscheidend für den Konsumentscheid. 

Hinzu kommt, dass die gestiegene Inflation bislang die Kaufkraft hierzulande insgesamt nicht zu schmälern vermochte. Dank dem hohen Beschäftigungswachstum und der Verschiebung hin zu besser bezahlten Stellen hat die Summe der ausbezahlten Löhne um 3,9 Prozent zugenommen und damit stärker als die Inflation (2,1 Prozent). 

Inflation bremst nicht übermässig

Die Inflationsrate wird gemäss unseren Prognosen bis Ende Jahr bei über 2 Prozent verharren, bevor sie langsam wieder abnimmt (Jahresdurchschnitt 2023: 2,3 Prozent). Dank der weiterhin vorteilhaften Arbeitsmarktsituation (Beschäftigungswachstum 1,4 Prozent respektive Lohnwachstum 0,8 Prozent) sollte sich der gesamtwirtschaftliche Kaufkraftverlust weiterhin in Grenzen halten. Zudem zeigen unsere Analysen der Preiselastizitäten der Konsumnachfrage, dass sich die bremsende Wirkung der Inflation auf die Konsumdynamik generell in Grenzen hält. Ein Anstieg der Inflationsrate um einen Prozentpunkt reduziert den privaten Konsum im Durchschnitt seit 1982 um 0,11 bis 0,13 Prozent – je nach Schätzungsmethode. Insgesamt sollten die privaten Konsumausgaben 2022 deutlich höher ausfallen als 2021 (+4 Prozent). 

Die Zunahme des Staatskonsums dürfte sich derweil gegenüber den beiden Vorjahren verlangsamen, welche durch Ausgaben für Impfungen und Tests geprägt waren. Wir rechnen aber weiterhin mit einem überdurchschnittlichen Wachstum von 2 Prozent, dies unter anderem aufgrund von Ausgaben zur Bewältigung der Flüchtlingswelle.    

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Liefersituation bleibt angespannt

Die Unternehmen werden derweil stark gefordert durch weitverbreitete Schwierigkeiten in den Lieferketten. Gemäss den Teilnehmenden unserer monatlichen Einkaufsmanager-Befragung gemeinsam mit procure.ch befürchten ganze 62 Prozent der Unternehmen mögliche Produktionsausfälle in den nächsten sechs Monaten aufgrund von fehlenden Vorleistungen oder Rohmaterial. 

Eine rasche Rückkehr zur Normalität im Einkauf ist zudem nicht in Sicht: 80 Prozent der Einkaufsmanager gehen davon aus, dass die Rückkehr zum Normalzustand erst im kommenden Jahr oder noch später erfolgen wird. 

Dementsprechend passen die Unternehmen ihre Lieferketten und ihr Investitionsverhalten an: In der Tendenz wird der Einkauf lokaler, was auch vermehrte Investitionen in der Schweiz nach sich zieht. So stockt gemäss Umfrage jedes fünfte Industrieunternehmen das Investitionsvolumen auf – 4 Prozent sogar deutlich, während nur 10 Prozent weniger investieren und nur 3 Prozent einen Investitionsstopp vorgenommen haben. 

Aufgrund des verbreiteten Drucks zu Produktivitätssteigerung dürften die Ausrüstungsinvestitionen somit trotz aller Unsicherheiten und steigender Zinsen um 2,5 Prozent zunehmen. 

Die Bauinvestitionen sind unterdessen im ersten Quartal unter anderem aufgrund fehlender Baumaterialen gebremst worden. Auch wenn die Auftragspipeline eigentlich gut gefüllt wäre, rechnen wir für das Gesamtjahr mit einer leichten Abnahme von 0,3 Prozent.  

Unveränderte Prognose

Insgesamt halten wir an unserer Prognose vom letzten Herbst fest, wonach das BIP-Wachstum dieses Jahr mit einem Wert von 2,5 Prozent überdurchschnittlich stark ausfallen sollte. 

Die Nachholeffekte nach der Aufhebung der Corona-Massnahmen im Inland sowie in grossen Teilen des Auslands lassen aber zunehmend nach. Und neue Wachstumstreiber sind angesichts der schwierigen Lage der Weltwirtschaft aus Inflation, geldpolitischer Straffung und geopolitischen Unsicherheiten nicht in Sicht. Dementsprechend prognostizieren wir für das Jahr 2023 eine Verlangsamung der Wachstumsdynamik auf 1,6 Prozent. 

Portrait Claude Maurer

Claude Maurer

Der ehemalige Profisportler (er hat die Schweiz an den Olympischen Spielen in Sydney im 49er-Skiff vertreten) ist Chefökonom Schweiz bei der Credit Suisse.

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