Von Lieferengpässen zu Personalengpässen – procure.ch

Von Lieferengpässen zu Personalengpässen

Publiziert am Autor: Alessandro Bee

Während die Engpässe in den Lieferketten deutlich zurückgegangen sind, belasten heute Personal-Engpässe die Unternehmen. Der Arbeitskräftemangel dürfte die Firmen nicht nur im nächsten Jahr beschäftigen, sondern wahrscheinlich im kommenden Jahrzehnt. Kurzfristig fordert auch der Konjunkturausblick die Firmen: Der trübe globale Ausblick verspricht auch für die Schweizer Wirtschaft kaum Impulse.

Lange Zeit wurde die Schweizer Industrie durch Lieferengpässe gebremst. Im letzten Jahr war allerdings eine deutliche Entspannung zu beobachten. Im September 2023 lag die Komponente «Lieferfristen» des Industrie-PMI gar so tief wie zuletzt in der grossen Finanzkrise 2008. Während die Belastung durch die Lieferengpässe deutlich zurückgegangen ist, haben die Risiken von Personalengpässen dagegen zugenommen. 

Eine Umfrage von UBS und dem Marktforschungsinstitut intervista bei 2500 Firmen zeigt, dass die Schweizer Wirtschaft mit einem ausgeprägten Arbeitskräftemangel konfrontiert ist. Nur ein Viertel der befragten Unternehmen gibt an, offene Positionen problemlos besetzen zu können. Der Arbeitskräftemangel ist in allen Branchen präsent, insbesondere aber in Bau und Gastronomie.

Firmen wollen auf ältere Arbeitnehmende zurückgreifen

Ein Grossteil der Unternehmen will Massnahmen gegen den Arbeitskräftemangel ergreifen. Dabei plant fast die Hälfte der Firmen, ältere Angestellte länger im Arbeitsprozess zu behalten, und 37 Prozent möchten den Teilzeitarbeitenden ein Umfeld bieten, das sie zu höheren Pensen motiviert.

Wenig Anklang findet ein vermehrter Einsatz von Digitalisierung oder Robotik, um den Personalaufwand zu senken. 

Ebenfalls wenig populär ist die Möglichkeit, vermehrt auf ausländisches Potenzial zurückzugreifen (15 Prozent). Der geringe Stellenwert der Rekrutierung im Ausland erstaunt, hat diese doch in den letzten zwei Jahrzehnten eine dominante Rolle im hiesigen Arbeitsmarkt gespielt.

Der Arbeitskräftemangel lässt sich auch im PMI beobachten. Die Beschäftigungskomponente ist mit der wirtschaftlichen Abkühlung der letzten Monate zwar gefallen, jedoch deutlich weniger als das gewohnte Ausmass von früheren Abschwüngen.

Gemischtes aussenwirtschaftliches Umfeld

Der Arbeitskräftemangel stellt ein Risiko dar, das die Firmen längerfristig beschäftigen dürfte. Daneben gehen aktuell auch von der globalen Konjunktur Herausforderungen aus.

Die europäische Wirtschaft hat sich im bisherigen Jahresverlauf nur schleppend entwickelt und ist von Gegensätzen geprägt. Einer schwachen Entwicklung der Industrieproduktion steht ein resilienter Arbeitsmarkt gegenüber. 

Vor dem Hintergrund geopolitischer Unsicherheiten, fehlender Impulse aus der Weltwirtschaft und immer noch erhöhter Energiepreise dürfte das Wachstum in der Eurozone auch in den kommenden Quartalen schwach bleiben. Eine Energiekrise im kommenden Winter erscheint aber unwahrscheinlich, da die europäischen Gaslager sehr gut gefüllt sind.

In den USA steht die Frage im Vordergrund, ob die Wirtschaft vor einer sanften oder einer harten Landung steht. Starke Zinsanhebungen haben in der Vergangenheit jeweils zu einer Rezession geführt. Die US-Wirtschaft zeigte sich aber im bisherigen Jahresverlauf robust, was die Hoffnung nährt, dass sie sich einer harten Landung heuer entziehen kann. Es ist zu früh, um hier ein endgültiges Urteil fällen zu können, aber die Wahrscheinlichkeiten haben sich über die letzten Monate hinweg klar zugunsten einer weichen Landung verschoben.

In China war nach der Öffnung der Wirtschaft zu Beginn des Jahres die Hoffnung auf eine starke Erholung gross. Allerdings war bereits im Sommer zu beobachten, dass es dieser Erholung an Kraft fehlt, nicht zuletzt, weil sich die bereits überwunden geglaubte Immobilienkrise zurückmeldete. Die Regierung versucht mit zusätzlichen Massnahmen, die Erholung erneut anzukurbeln; diese hat mittlerweile aber deutlich an Glanz verloren.

Insgesamt bleibt der aussenwirtschaftliche Ausblick durchwachsen. Es droht keine globale Rezession, der Aussenhandel dürfte in den kommenden Quartalen jedoch das Wachstum belasten. Das widerspiegelt sich in einem vergleichsweise tiefen Stand des Industrie-PMI.

Konsum als Stütze

Während die Industrie den Schweizer Ausblick belastet, dürfte sich der Konsum als Stütze erweisen. Letzterer wird durch einen weiterhin robusten Arbeitsmarkt unterstützt. Abwärtsrisiken sind aber auch hier vorhanden. Ein Anstieg der Krankenkassenprämien, der Strompreise und der Mehrwertsteuer dürften auf dem Einkommen der Haushalte lasten.

Aufgrund der trüben Aussichten in der Industrie wird sich das Schweizer Wachstum voraussichtlich auch nur unterdurchschnittlich entwickeln. Wir erwarten 2023 ein BIP-Wachstum von 0,7 Prozent. Die Schweizer Wirtschaft dürfte sich 2024 im Verlaufe des Jahres zwar leicht erholen, starke Impulse aus dem Aussenhandel sind aber noch nicht in Sicht. Wir sehen das BIP 2024 um 0,9 Prozent wachsen.

SNB verzichtet auf Zinsschritte

Die Inflation liegt heute mit 1,7 Prozent wieder innerhalb der Bandbreite von 0 bis 2 Prozent der Schweizerischen Nationalbank (SNB). 

In den nächsten zwölf Monaten erwarten wir aber wieder einen leichten Anstieg der Inflation aufgrund von Zweitrundeneffekten. Die SNB gewichtete im September die Konjunktursorgen stärker als die Inflationsrisiken und beliess ihre Leitzinsen bei 1,75 Prozent. Daran dürfte sich auch in den kommenden Quartalen nichts verändern. 

Alessandro Bee

Alessandro Bee arbeitet seit 2016 für das Chief Investment Office (CIO) der UBS und ist dort für die Prognosen zu Schweizer Wirtschaft und zur Geldpolitik der Nationalbank verantwortlich.