«Wenn du den Gipfel erreicht hast, dann klettere weiter» – procure.ch

«Wenn du den Gipfel erreicht hast, dann klettere weiter»

Publiziert am Autor: Mario Walser

Jean-Claude Biver, Chairman bei Hublot und bis 2018 Leiter der Uhrensparte beim Luxusgüterhersteller LVMH, gilt als Avantgardist, der sich nur wenig um Konventionen schert. Sich selbst sieht er als Patron, der eine der spannendsten Uhrenmanufakturen der Schweizer Haute Horlogerie leitet.

Herr Biver, wie beschreiben Sie einem Branchenfremden das Geschäftsmodell Ihrer Firma?

Im klassischen Businessjargon würde das in etwa so tönen: Wir sind eine Schweizer Uhrenmanufaktur mit Hauptsitz im waadtländischen Nyon. Unsere Uhren zählen zu den teuersten und exklusivsten der Welt.  Aber das alleine macht für mich Hublot noch längst nicht aus. Wir stehen für die Kunst der Fusion in der Uhrmacherei. Das ist nicht nur ein schnöder Werbespruch. Ich vergleiche unsere Uhren gerne mit der Ballettkunst von Maurice Bejart, der das klassische Ballett innoviert hat. Was für Bejart ausser Frage stand, das gilt auch für Hublot. Ohne Tradition, aber auch ohne Innovation gibt es keine Zukunft. Hier beginnt disruptives Denken.

Ganz konkret: Wie innovieren Sie bei Hublot denn genau? 

Wir verwenden für unsere Gehäuse, Zifferblätter und Armbänder nicht nur unkonventionelle Materialien. Damit ist es nicht getan, denn das tun andere Hersteller manchmal auch. Wir wollen und werden auch, was die Materialentwicklung angeht, immer die Nase vorn haben. Das macht unseren Markenkern aus, das ist unsere DNS. Wir arbeiten mit Werkstoffen wie Kevlar, Karbon, Keramik, Magnesium, Stahl, Gold, Saphir und Kautschuk. Die Kombination dieser Materialien – die gibt es in der Welt der Uhren bislang so nur bei Hublot. 

Wie wichtig sind Synergieeffekte bei der Beschaffung der Werkstoffe und der Entwicklung Ihrer Produkte?

Sehr wichtig. Da geht es uns nicht anders wie unserem Partner Ferrari. Will man Innovationsführerschaft beanspruchen, dann führen nur starke Entwicklungs- und Beschaffungsabteilungen zu einem starken Produkt. An der Entwicklung einer Hublot-Uhr sind mehrere Dutzend Menschen unterschiedlichster Fachbereiche beteiligt. Unsere Uhren bestehen aus mehreren Hundert Bauteilen. Nur schon, um ein neues Uhrwerk zu entwickeln braucht es gut und gerne zwei Jahre. In unserer hauseigenen Metallurgieabteilung forschen, entwickeln und realisieren wir ohne Unterlass. So entstehen immer wieder neue Verbundwerkstoffe, wie beispielsweise das «Magic Gold», eine kratzfeste achtzehnkarätige Goldlegierung, die wir in Zusammenarbeit mit der ETH Lausanne entwickelt haben. Das Gold wird hier nicht mit anderen Metallen, sondern mit Hightechkeramik vermischt. Wir verwenden aber auch Leinen oder Leder und profitieren hier beispielsweise vom Know-how der französischen Schuhmanufaktur Berluti, die eben nicht nur Lieferant, sondern auch Partner ist.

Bei Werkstoffen wie Gold oder Diamanten werden Sie sicher auf Nachhaltigkeit achten ...

Selbstverständlich. Unsere Rohwaren und Werkstoffe beziehen wir weltweit. Es ist uns ein grosses Anliegen unsere Lieferketten für Diamanten, Gold, aber auAch Platin lückenlos zu kontrollieren. Und zwar von der Mine bis zum Einzelhändler. Wir beziehen nur Material von Zulieferern, die auf eine verantwortungsvolle Arbeitsweise achten und die dazu nötigen ethischen, menschenrechtlichen, sozialen und umweltschonenden Richtlinien strengstens einhalten.  Genau deshalb sind wir auch zertifiziertes Mitglied des Responsible Jewellery Council. 

Auf welcher Hierarchieebene ist der Einkauf angesiedelt?

Wir machen fast eine Milliarde Franken Umsatz. Und wenn man einen Umsatz in dieser Grössenordnung hat, dann geht das nur mit einer Einkaufsorganisation, die funktioniert. Deshalb ist unser Einkaufschef auch Mitglied der Geschäftsleitung.  

Machen Ihnen politische Unsicherheiten, der Ölpreis oder auch volatile Wechselkurse das Leben schwer? 

Ich bin seit 45 Jahren in der Uhrenindustrie. Solche Unsicherheiten hat es immer gegeben. Als ich angefangen habe, notierte der Dollar noch bei über vier Franken. Heute ist der Dollar viermal weniger wert. Deswegen verkaufen wir aber heute in den Vereinigten Staaten nicht viermal weniger. Im Gegenteil. Die Schweiz hat immer eine starke Währung gehabt, ist wirtschaftlich gut aufgestellt – und ist in puncto Uhren eine Grossmacht. Unsere Uhrenindustrie ist weltweit führend. Wenn Hublot Preise anpassen muss, dann müssen das unsere hiesigen Marktbegleiter auch tun. Auch eine wirtschaftlich negative Entwicklung bietet Chancen, als Unternehmen weiter zu wachsen. 

Hublot fertigt viele Komponenten selbst. Die Lieferketten sind kurz. Trotzdem müssen Kunden lange auf ihre bestellten, Modelle warten. Ist das einfach ein cleverer Marketingschachzug, oder hat das Unternehmen Optimierungsbedarf in Lieferkette und Logistik?

Klar ist, dass wir nicht die Läden unserer Kunden mit unseren Uhren überschwemmen wollen. Was man jederzeit und überall  erhält, wird nun einmal nicht sonderlich geschätzt. Von daher ist es uns sicher lieber, wenn die Nachfrage grösser ist, als das Angebot. Wir wissen aber auch: Wenn Kunden ihre Kaufentscheidung getroffen haben, möchten sie die Waren auch baldmöglichst haben. Zudem gehen wir mit unseren Budgets relativ vorsichtig um. Daher kann es vorkommen, dass wir mit der Auslieferung ein wenig «hinterherhinken». 

«Wer heute noch eine teure Uhr kauft, um die Zeit abzulesen, ist ein Idiot», sollen Sie mal gesagt haben. Weshalb also überhaupt noch eine Armbanduhr? 

In der Tat könnte man sagen, dass die geringste Rolle, die eine Luxusuhr heute noch innehat, diejenige des Zeitmessers ist. Um die genaue Zeit abzulesen, genügt auch eine Quarzuhr für 50 Franken. Bei unserer Big Bang in «All Black» sind Gehäuse, Zifferblatt und sogar die Zeiger in schwarz gehalten. Das macht es nicht unbedingt leicht, die Zeit zu lesen. Eine Luxusuhr ist ein Kommunikationsinstrument, das meines Erachtens  eine Seele hat und Emotionen schürt. Mit ihr kann man die eigene Persönlichkeit sichtbar machen und ausdrücken, wer man ist oder zumindest sein möchte. 

Geht es um Digitalisierung und Disruption, kommt man an den Smartwatches wohl nicht vorbei ... 

Smartwatches stellen eine überaus interessante und voraussichtlich erfolgreiche technologische Entwicklung dar. Aber – alle technologischen Entwicklungen werden früher oder später obsolet sein. Das liegt in der Natur der technologischen Entwicklung. Und gerade als Manufaktur für Luxusuhren wollen wir uns dieser Obsoleszenz keinesfalls unterwerfen. Wir haben den Anspruch, handwerklich perfekt umgesetzte Kunst zu schaffen, die lange Bestand haben wird. Da passt eine Uhr, die schon nach ein paar Jahren überholt ist, nicht dazu. Smartwatches wie die Apple Watch darf man aber nicht verteufeln. Es ist doch klar einfacher, jemandem eine hochwertige Schweizer Uhr zu verkaufen, der schon eine Uhr, und sei sie auch smart, am Handgelenk trägt.

Wie definieren Sie für sich persönlich den Begriff Luxus?

Echter Luxus ist nicht gleichzusetzen mit Luxusgütern. Luxusgüter kann man kaufen. Ein Beispiel: Sie müssen keine teuren Bilder kaufen, um Kunst geniessen zu können. Spreche ich von Luxus, dann meine ich damit Werte, die man nicht kaufen kann. Also gesund zu sein, seine Kinder problemlos aufwachsen zu sehen, Liebe zu geben und empfangen zu können oder auch Kunstwerke auf sich wirken zu lassen. Aber auch Luxusgüter vereinen «metaphysische» Werte wie Tradition oder auch Qualität in sich. Und auch diese können nicht bis ins letzte Detail betriebswirtschaftlich festgezurrt werden. 

«Den Geschäftsmann, der einen Biver über den Tisch zieht», meinte Hayek senior einst, «den gibt es nicht.» Was können Sie, was andere nicht können? 

Das weiss ich nicht. Ich für meinen Teil kann einfach sagen, dass man gewisse ethische Grundsätze verinnerlicht haben und diese auch vorleben sollte. Und das gilt für mich sowohl im Privaten als auch für das Geschäftliche. Drei «Gebote» sind für mich dabei wichtig. Dazu gehört das Teilen – und zwar nicht nur Gewinne, sondern auch Erfolge, Zweifel, Niederlagen, Fehler und Irrtümer. Nicht weniger wichtig ist für mich Respekt. Nicht nur für sich selbst, sondern auch gegenüber Marktbegleitern, Mitarbeitern und Lieferanten. Ganz zu schweigen von der Fähigkeit, Fehler zu verzeihen. Weil wir nur durch Fehler lernen. Für Einstein beinhaltete Wissen vor allem die Anhäufung von Fehlern und Erfahrungen des Einzelnen. Ansonsten dürfe man dies nicht Wissen, sondern nur Information nennen.

Was Sie anfassen, scheint sich in Gold zu verwandeln.  Welche Parallelen sehen Sie zwischen König Midas aus der griechischen Mythologie und Ihrer Person? 

Ich bin da, wo ich jetzt bin, weil ich immer auf die Unterstützung meiner Teams und meines engsten Umfeldes zählen konnte. Ich hatte und habe immer mehr Zweifel als Gewissheiten. Das ermöglicht es mir, mich zu  hinterfragen. Und natürlich hatte ich auch immer eine gesunde Portion Glück – und habe viel gearbeitet. Aber sich auf seinen Lorbeeren, die einem ja immer von anderen verliehen werden, auszuruhen, das geht für mich gar nicht. Ich glaube, die Tibetaner umschreiben das ganz gut, wenn sie sagen: «Wenn du den Gipfel erreicht hast, dann klettere einfach weiter.» Er fasst den Lebenssinn, so denke ich, in einem einzigen Satz zusammen. Man muss alles jeden Tag aufs Neue erreichen – und Erreichtes jeden Tag aufs Neue zurückerobern. Die Kraft dazu gibt mir die Liebe meiner Familie, der Sport – und genügend Schlaf. Man soll und kann seine Erfolge erst am Ende einer «Etappe» wirklich geniessen. 

In der Ruhe liegt also die Kraft? 

Genau. Aber Stillstand ist Rückschritt. Ich will meinen Horizont noch immer ausweiten und offen für Neues sein, auch für möglicherweise unangenehme Wahrheiten. Es ist wie im Sport: Ein polyvalenter Spieler ist ein flexibler Spieler und kann verschiedene Positionen gleichermassen stark bekleiden. Das verlangt aber nicht nur körperliche, sondern auch geistige Flexibilität und eine gesunde Portion an Kritikfähigkeit und den Mut, Zweifel zuzulassen. All das muss aber einer gewissen Kohärenz folgen, sonst verpufft die Energie nutzlos nach allen Seiten. Es geht darum, die Zeit, die man hat, mit Bedacht einzusetzen.  Denn der Tag hat für jeden nur 24 Stunden – ob man nun in der Uhrenbranche arbeitet oder nicht.

Bis zum Jahresende 2019 sind Sie noch an LVMH gebunden. Was folgt danach?

Ich werde mich nach rund 45 Jahren in der Uhrenindustrie ganz sicher nicht einfach zur Ruhe setzen. Projekte, auch mit LVMH, sind in der Pipeline. Ich werde also weiter in der Branche aktiv tätig sein. Zwar in anderer Form als bei Hublot, aber ganz nach der Maxime von Hublot, die auch für mich nach wie vor gilt: Nicht repetieren, sondern innovieren.

Jean-Claude Biver

Der gebürtige Luxemburger (70) ist Chairman of the Board bei Hublot und Zenith und nicht exekutiver Präsident des Uhrenbereichs von LVMH. Der studierte Betriebswirtschafter (HEC Lausanne) gehört zu der kleinen Gruppe von Persönlichkeiten, die die Schweizer Uhrmacherkunst entscheidend geprägt haben. Vor seiner Tätigkeit für Hublot erweckte er die Uhrenmarken Blancpain und Omega aus einem lang andauernden Dornröschenschlaf. Biver ist in zweiter Ehe verheiratet und hat fünf Kinder.

Hublot

Hublot ist eine 1980 gegründete Schweizer Luxusuhrenmanufaktur mit Hauptsitz in Nyon. Hublot ist bekannt für hohe Uhrmacherkunst, revolutionäre Materialien und auch für internationale Partnerschaften, beispielsweise mit Ferrari, der Fifa oder diversen Persönlichkeiten aus der Sportwelt (unter anderem mit Pelé, Usain Bolt oder auch Dario Cologna). Heutzutage zählen Uhren von Hublot zu den teuersten und exklusivsten der Welt. Das seit 2008 zur französischen Gruppe Moët Hennessy Louis Vuitton S. A. (LVMH) gehörende Unternehmen beschäftigt 650 Mitarbeitende und erzielte 2018 einen Umsatz von fast einer Milliarde Schweizer Franken.