Retail im Wandel: Strategien für ein zukunftssicheres Beschaffungsmanagement
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Gleichzeitig wächst der Druck auf traditionelle Händler, auch durch den Wandel im Eigenmarkenbereich: Getrieben durch Inflation und Kaufkraftverluste wenden sich viele Verbraucher von etablierten Marken hin zu günstigeren No-Name-Produkten. Das starke Wachstum von Discountern wie Aldi und Lidl zwingt Anbieter wie Migros und Coop dazu, das Eigenmarkensegment gezielt auszubauen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Branchenübergreifend zeigt sich der Innovationsdruck deutlich – ob bei Margen, Kundenbindung oder neuen Verkaufsstrategien. Apple hat es mit seinen Flagship-Stores vorgemacht, und mittlerweile ziehen viele nach, von Kaffeebrandings wie Nespresso bis zu Kosmetikmarken wie L’Oréal.
Die Retail-Branche reagiert auf diese Veränderungen. Inzwischen sind mehr als die Hälfte der im Schweizer Detailhandel verkauften Produkte keine Markenartikel, sondern sogenannte Händlermarken. Das sind Produkte, die die Grossverteiler eigens herstellen lassen oder, wie beispielsweise die Migros, in ihrer eigenen Industrie produzieren. Mit diesem gezielten Ausbau der Eigenmarken streben Detailhändler danach, die Loyalität ihrer Kunden zu festigen und sich im wachsenden Wettbewerbsumfeld zu differenzieren.
Diese Entwicklungen transformieren nicht nur das Erscheinungsbild der Detailhändler, sondern beeinflussen auch deren Beschaffungsmanagement erheblich. Die Rolle der Einkaufsabteilung wandelt sich: Der Fokus auf jährliche Preisverhandlungen mit etablierten Markenherstellern verlagert sich zunehmend auf die Beschaffung von Eigenmarken und Rohstoffen für die Eigenproduktion.
Unterschiede im Einkauf: Strategien für Handels- und Händlermarken
Einzelhändler, die sich auf Markenprodukte fokussieren, beziehen ihre Produkte meist direkt von Markenlieferanten und bauen langfristige Lieferantenbeziehungen auf. Ihre Einkaufsstrategie ist in erster Linie auf stabile Lieferbedingungen, verlässliche Qualität und Preisvorteile bei grossen Bestellmengen ausgelegt. Die Verhandlungsposition konzentriert sich hier stark auf Preisgestaltungen und Mengenrabatte. Einkäufer müssen in der Lage sein, starke Marktschwankungen zu managen und aktuelle Konsumtrends zu erkennen und zu bedienen, was einen hohen Grad an Agilität in der Produktpalette erfordert. Ein Sortiment, das überwiegend aus Markenartikeln besteht, erfordert eine intensive Überwachung der vorgelagerten Lieferkette, um die Produktionsabläufe und die Rohstoffbeschaffung der Lieferanten effektiv zu überwachen.
Anders sieht es bei Anbietern mit hohem Händlermarken-Anteil aus. Hier verschiebt sich der Fokus von fertigen Produkten hin zur Beschaffung von Rohmaterialien und der Verwaltung von Produktionskapazitäten. Im Gegensatz zur Beschaffung von Handelswaren ist hier eine engere Integration von Einkaufs- und Produktionsabteilungen und somit eine aktive Rolle des Einkaufs im Produktlebenszyklus erforderlich. Dabei liegt die Herausforderung in der oft komplexen und globalen Lieferkette, die sowohl von der Verfügbarkeit als auch den Kosten von Rohmaterialien abhängig ist. Betreffend Nachhaltigkeit haben Einkäufer hier jedoch die Chance, durch konsequentes Lieferantenmanagement mehr Transparenz zu schaffen und die stärkere Verhandlungsposition zu nutzen.
Vom Unterstützer zur Schlüsselfunktion: die neue Rolle des Einkaufs
Durch das Wachstum an Eigenmarken im Sortiment wie auch die dadurch entstehende Vertikalisierung hat sich die Beschaffung zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor entwickelt. Einkaufsabteilungen müssen aktiv in die Strategieentwicklung einbezogen werden. Während klassische Markenartikelhändler die Beschaffung im Rahmen des Produktmanagements vornehmen, muss der wachsenden Bedeutung des Einkaufs bei Eigenmarkenhändlern zwingend Rechnung getragen und dessen Rolle neu gedacht werden. Dazu braucht es neben einem Umdenken auch Veränderungen in Sachen Strukturen, Fähigkeiten und Werkzeuge:
- Strukturen: Interdisziplinäre Teams sind entscheidend, um Flexibilität und Innovation in Einkaufsprozessen zu gewährleisten. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Einkaufs-, Produktions- und Marketingabteilungen ist insbesondere bei Händlermarken erforderlich, um schnelle und kundenorientierte Entscheidungen zu treffen.
- Fähigkeiten: Einkaufsabteilungen müssen zudem über Kenntnisse in Datenanalyse und Nachhaltigkeit verfügen sowie auch den Umgang mit Innovationen fördern. Neben traditionellen Verhandlungskompetenzen sind technische Fähigkeiten gefragt, um Lieferketten digital zu verwalten und internationale Standards im Blick zu behalten.
- Werkzeuge: Innovationen umfassen Tools wie KI-gestützte Prognosemodelle sowie Cleansheet-Analysen und bieten die Möglichkeit, Einkaufsentscheidungen datengestützt zu treffen. So können Kosten und Lieferketten kontrolliert und optimiert werden.
Um den steigenden Anforderungen der Branche gerecht zu werden, ist es entscheidend, dem Beschaffungsmanagement die erforderliche Bedeutung beizumessen und ihn bei strategischen Diskussionen miteinzubeziehen. Nur so können Unternehmen nicht nur wettbewerbsfähig bleiben, sondern auch nachhaltige Erfolge sichern. Ein strategisch ausgerichtetes Beschaffungsmanagement ist dabei der Schlüssel, um zukunftsfähige Lösungen zu schaffen und langfristiges Wachstum zu fördern.

Sandro Tedone ist Managing Consultant bei der Unternehmensberatung Horváth. Er ist seit mehr als 3 Jahren als Unternehmensberater tätig und hat diverse Einkaufsorganisationen in der Transformation, Digitalisierung und Neuausrichtung begleitet.

Matthias Pfoster ist Principal bei der Unternehmensberatung Horváth. Er verfügt über 11 Jahre Erfahrung als Unternehmensberater und hat zusätzliche Erfahrung in diversen Linienfunktionen gesammelt, hauptsächlich in den Bereichen Einkauf und Supply Chain Management.