Internationale Beschaffungsstrategien

Internationale Beschaffungsstrategien

Publiziert am Autor: Ralph Lehmann & Shauna Künzi

Bild: Pexels

Internationale Lieferketten sind störungsanfällig geworden. Ein Innosuisse-Projekt der Fachhochschule Graubünden mit procure.ch zeigt, mit welchen Lieferkettenstörungen Schweizer Unternehmen konfrontiert sind und wie sie damit umgehen.

Die letzten Jahre haben deutlich gemacht, wie störungsanfällig internationale Lieferketten geworden sind. Das Coronavirus hat ausländische Produktionsstätten lahmgelegt. Das Frachtschiff Ever Given hat den Suezkanal blockiert. Der Krieg in der Ukraine führte zu Engpässen in der Energieversorgung und die Huthi-Rebellen haben die Transportverbindung durch das Rote Meer behindert. Solche Ereignisse stören die internationalen Lieferketten und beeinträchtigen das Geschäft von international tätigen Unternehmen.

Lieferkettenstörungen

Das Innosuisse-Projekt «Störungen in internationalen Lieferketten» untersucht, mit welchen Lieferkettenstörungen Schweizer Unternehmen konfrontiert sind und wie sie damit umgehen. Im Rahmen dieses Projektes wurden rund 300 Mitgliedsunternehmen des Fachverbandes procure.ch befragt. Diese Unternehmen sind hauptsächlich in den MEM-Branchen tätig und beziehen elektronische Bauteile, Metalle und Kunststoffe aus Märkten in Westeuropa, Osteuropa und Ostasien. Die Befragung zeigt, dass es wirtschaftliche Störungen wie Regulierungen und Handelsbeschränkungen, natürliche Störungen wie die Verknappung von Rohstoffen und Naturkatastrophen, politische Störungen wie Kriege und Cyberangriffe sowie systemimmanente Störungen wie Transportunterbrüche und Betriebsunfälle sind, die die Zulieferketten der Unternehmen beeinträchtigen und grossen wirtschaftlichen Schaden anrichten können (vgl. Beitrag im «Procure Swiss Magazin» August/ September 2024). Um diesen Schaden zu begrenzen und die Zulieferketten gegenüber Störungen widerstandsfähiger zu machen, stehen den Unternehmen mehrere Strategien zur Verfügung.

Geografische Verlagerung

Zu den Strategien, die eine geografische Verlagerung der Beschaffung bewirken, gehört das Multiple Sourcing. Anstatt wie beim Single Sourcing kritische Teile nur von einem Lieferanten zu beziehen, verteilen die Unternehmen die Beschaffung auf mehrere, geografisch diversifizierte Lieferanten, um Risiken wie Handelsbeschränkungen, Kriege, Naturkatastrophen oder Transportunterbrüche zu minimieren. Eine spezielle Ausprägung des Multiple Sourcing ist die «China Plus One»-Strategie, bei der die Unternehmen die Beschaffung aus dem chinesischen Markt durch Lieferanten aus anderen Ländern wie Thailand, Vietnam oder Indien ergänzen und dadurch ihre Abhängigkeit von China sowie die damit verbundenen Risiken durch Handelskonflikte vermindern. Die Strategie Local for Local bedeutet, dass die Unternehmen in jenen Märkten einkaufen, in denen sie ihre Produkte verkaufen. Damit verkürzen sie ihre Lieferketten und reduzieren mögliche Störungen ihres Geschäftes durch Transportunterbrüche, Regulierungen, Handelsbeschränkungen und Zölle. Nearshoring bedeutet, dass die Beschaffung näher zum Heimmarkt verlagert wird. Dadurch können Transportwege verkürzt, Zölle vermieden und die Zusammenarbeit mit den Lieferanten intensiviert werden. Als Friendshoring wird die Strategie bezeichnet, die Beschaffung in verbündete Länder zu verlagern, um Lieferkettenstörungen durch Kriege, Handelsbarrieren und Zölle zu vermindern.

Verminderung von Abhängigkeiten

Zu den Strategien, die die Abhängigkeiten von kritischen Teilen reduzieren, gehört das Re-Design von Produkten. Die Unternehmen verändern die Konstruktion ihrer Produkte so, dass sie gegenüber Lieferkettenstörungen durch Rohstoffknappheit, Regulierungen oder Qualitätsmängeln resilienter werden. Der 3D-Druck bietet die Möglichkeit, Teile vor Ort beim Hersteller zu produzieren, Transportwege zu verkürzen, Handelsbarrieren und Zölle zu umgehen. Durch das Recycling von Materialien können Unternehmen ihre Abhängigkeit von primären Rohstoffquelle verringern, gegenüber Preisschwankungen auf dem Rohstoffmarkt unabhängiger werden und Lieferengpässe vermeiden. Der Aufbau von Lagerbeständen an kritischen Teilen erhöht die Resilienz der Unternehmen gegenüber Lieferkettenstörungen im Allgemeinen und schafft einen Puffer, mit dem Störungen für eine gewisse Zeit überbrückt werden können.

Kooperation mit Lieferanten

Zu den Kooperationsstrategien gehört die kooperative Produktentwicklung, bei der der Hersteller kritische Lieferanten in die Entwicklung von Produkten einbezieht, um sicherzustellen, dass dieser die Teile in der erforderlichen Menge und Qualität liefern kann. Das Lieferantenmanagement verstärkt die Kommunikation mit den Lieferanten, lässt aufkommende Probleme früher erkennen und ermöglicht eine bevorzugte Behandlung bei Lieferengpässen. Mengenverträge sichern den Unternehmen feste Preise für bestimmte Mengen von Materialien und garantieren deren Verfügbarkeit während eines festgelegten Zeitraumes. Damit schützen sie die Hersteller vor Preisschwankungen und Rohstoffverknappungen in den Beschaffungsmärkten. Einkaufskooperationen erhöhen die Verhandlungsmacht von kleineren Unternehmen gegenüber ihren Lieferanten und schützen sie vor Preiserhöhungen und Lieferengpässen.

Nutzen und Kosten

Die Gegenüberstellung der im Innosuisse- Projekt ermittelten Lieferkettenstörungen und der Beschaffungsstrategien zeigt, dass das Multiple Sourcing, das Lieferantenmanagement und die Lagerhaltung zu den effektivsten Strategien zählen, die einer Vielzahl von Störungen begegnen. Es gibt aber nicht eine Strategie, die alle möglichen Störungen absichert. Entsprechend müssen die Unternehmen die für ihre Zulieferkette relevanten Störungen ermitteln und ihnen mit den passenden Strategien begegnen, wenn sie ihre Beschaffung widerstandsfähiger machen wollen. Zudem müssen sie bedenken, dass die beschriebenen Strategien Kosten verursachen. So reduziert das Multiple Sourcing zum Beispiel die Bestellmengen pro Lieferant, erhöht die Einkaufspreise, reduziert die Verhandlungsmacht und erschwert das Lieferantenmanagement. Entscheide über die Anpassung von Beschaffungsstrategien fallen deshalb meist auf Unternehmensebene in Abstimmung mit der Marketing und Produktionsstrategie.

Ralph Lehmann

Ralph Lehmann ist Professor für International Business an der Fachhochschule Graubünden.

ralph.lehmann@fhgr.ch

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