Kinderarbeit und Verschmutzung den Riegel vorschieben
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Die Umsetzung einer konsequenten Lieferkettenverantwortung hat in der Schweiz in den letzten Jahren zusehends an Bedeutung gewonnen. Die Konzernverant-wortungsinitiative, die zwar knapp gescheitert ist, hat trotz des Nein ein starkes Zeichen gesetzt: Bevölkerung und Politik erwarten von Unternehmen mehr Pflichtbewusstsein und Sorgfalt. Seit 2022 zwingt der indirekte Gegenvorschlag die Firmen dazu, Berichte zu Themen wie Menschenrechte und Umweltschutz entlang ihrer Lieferketten vorzulegen. Ganz besonders Rohstoffunternehmen stehen hier unter strenger Beobachtung. Doch die relativ bescheidenen, helvetischen Regelungen reichen nicht aus, um mit den umfassenden Anforderungen der EU - im Besonderen auch Deutschlands - Schritt zu halten.
Die EU-Richtlinie zur Sorgfaltspflicht und das deutsche Lieferkettensorgfalts-pflichtengesetz werden Schweizer Unternehmen, die international tätig sind, in naher Zukunft dazu zwingen, ihre Standards weiter anzuheben. «Die Richtlinie für unternehmerische Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten (zu Englisch: Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz CSDDD) ist am 25. Juli 2024 in Kraft getreten. Nun haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, diese in ihr nationales Recht zu überführen. Mit der CSDDD leitet die EU einen Paradigmenwechsel ein, denn während sich der Geltungsbereich bisher auf die in der EU angesiedelten Unternehmen beschränkte, sind die Regeln nunmehr auch für alle aussereuropäischen Unternehmen, die ihre Produkte innerhalb der EU verkaufen, bindend», warnt das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung auf seiner Website. Auf Basis dieser Richtlinie könnten betroffene Firmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit ausserhalb der EU profitieren oder Umweltschäden mitverantworten würden, ergänzt das WBF. Betriebe, die hier aus der Reihe tanzen, riskieren hohe Strafen.
Wettbewerbsfähig bleiben
Während die Schweizer Konzernverantwortungsinitiative im Jahr 2020 an der Hürde des Ständemehrs gescheitert ist, stimmten trotzdem 50,7 Prozent der Bevölkerung dafür. Das Ergebnis zeigt, wie stark das Thema polarisiert und vielen Konsumentinnen und Konsumenten unter den Nägeln brennt. Auch wenn die Initiative nicht durchgekommen ist, führte sie hierzulande zu einem gewissen Umdenken. Viele Unternehmen haben ihre Lieferketten inzwischen genauer unter die Lupe genommen. In Deutschland ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz seit dem 1. Januar 2024 in Kraft. Es verpflichtet die Betriebe dazu, soziale und ökologische Risiken entlang ihrer Wertschöpfungsketten zu analysieren und zu minimieren. Kinderarbeit, Ausbeutung von Arbeitskraft oder Umweltverschmutzung durch Chemikalien soll damit einen Riegel vorgeschoben werden. Am Ende stehen auch Schweizer Exporteure und Zulieferer immer stärker vor der Herausforderung, Nachweise über soziale und ökologische Standards zu erbringen. Ein Versäumnis in diesem Bereich könnte Geschäftsbeziehungen gefährden und langfristig die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Konzerne schwächen.
Proaktiv kommunizieren
Schweizer Unternehmen könnten also eine Vorbildfunktion einnehmen, indem sie freiwillig über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen. Zertifizierungen wie Fair Trade, ISO-Normen, B Corp-Zertifizierungen oder auch Rainforest Alliance bieten eine Möglichkeit, das Vertrauen von Kundinnen und Investoren zu vergrössern. Besonders in Branchen wie Konsumgüter, Technologie oder Rohstoffe kann dies ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal sein und das Firmenimage nachhaltig aufpolieren. Zudem wäre es strategisch clever, wenn Betriebe mehr Transparenz schaffen würden, indem sie proaktiv über ihre Bemühungen zur Lieferkettenverantwortung kommunizieren. Studien zeigen nämlich, dass Konsumentinnen und Konsumenten Unternehmen bevorzugen, die soziales und ökologisches Engagement ernst nehmen, ja es sogar aktiv leben und in den Mittelpunkt ihres unternehmerischen Handelns rücken. Dies stärkt nicht nur das Vertrauen und somit die emotionale Bindung der Verbraucher, sondern auch das Ansehen des Unternehmens. Ein weiterer Ansatz wäre etwa die Zusammenarbeit mit NGOs, lokalen Partnern oder anderen internationalen Organisationen.
Probleme für KMUs?
Trotzdem bleibt das Navigieren durch den Reglementen-Dschungel ein Hindernislauf. Besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) stehen vor erheblichen Schwierigkeiten. Die Anforderungen an eine verantwortungsvolle Lieferkettensorgfalt sind oft kostspielig und komplex. Ohne staatliche Unterstützung und praxisnahe Leitlinien wird es für viele KMUs schwierig sein, die Vorgaben umzusetzen. Auch die Digitalisierung von Lieferketten ist ein wichtiges Thema. Technologien wie Blockchain oder künstliche Intelligenz können die Rückverfolgbarkeit von Produkten verbessern und Risiken effizienter managen. Ein erfolgreiches Beispiel ist die Anwendung von Blockchain in der Schokoladen-industrie. Sie hilft dabei, den Ursprung von Kakao transparent zu dokumentieren. Doch in der Praxis fehlen vielen Unternehmen noch die Ressourcen und das nötige Know-how, um derartige Technologien erfolgreich einzusetzen. Ein weiteres Problem liegt in der fehlenden Harmonisierung internationaler Standards. Unterschiedliche Vorgaben in der Schweiz, der EU und anderen Ländern schaffen Unsicherheiten. Diese Uneinheitlichkeit macht es Betrieben schwer, ihre Prozesse klar auszurichten. Eine bessere Abstimmung zwischen den Ländern wäre daher wünschenswert und würde den internationalen Wettbewerb fairer gestalten. Für Schweizer Unternehmen wird es entscheidend sein, die Balance zwischen der Erfüllung gesetzlicher Vorgaben, freiwilligen Massnahmen und Innovations-bereitschaft zu finden. Während unser Land bei der Regulierung zurückhaltender ist, setzen internationale Standards klare Vorgaben. Nachhaltigkeit sollte nicht nur als Pflicht gesehen werden, sondern als strategische Chance, sozusagen als Kür im Buhlen um die Gunst von Käufern und Konsumenten. Unternehmen, die heute proaktiv handeln, sichern sich langfristig wahrscheinlich Wettbewerbsvorteile und stärken ihre Marktposition. Wer die heute so matchentscheidende Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt seiner Strategie rückt, wird nicht nur den aktuellen Herausforderungen gerecht, sondern trägt auch zu einer umweltbewussteren Wirtschaft bei.

Sabine Vontobel, freischaffende Journalistin im Auftrag von procure.ch