Lebensmittelverluste bereits in der Beschaffung vermeiden

Lebensmittelverluste bereits in der Beschaffung vermeiden

Publiziert am Autor: Jonathan Brünggel

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Wir schätzen es alle, bei unserem Einkauf, beim Apéro oder im Restaurant leckere Lebensmittel von hoher Qualität zur Auswahl zu haben. Es trägt zu unserem Wohlbefinden bei und ist ein wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens. Lebensmittel werden mit viel Herzblut und unter hohem Aufwand produziert, sortiert, zum Teil verarbeitet, gekühlt, transportiert und dann verkauft. Für die Zubereitung wird gerüstet, gekocht, gebraten. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette vom Feld bis auf den Teller fallen dabei auch Verluste an: Zum Beispiel werden kleine oder krumme Karotten aussortiert oder tierische Innereien finden keinen Absatz mehr. Diese Lebensmittelverluste werden umgangssprachlich gerne als Food Waste bezeichnet.

Am Anlass von procure.ch vom 23. Januar 2025 zum Thema «Food Waste in der Beschaffung – Herausforderungen erkennen und Chancen nutzen» wurde das Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet und es wurde versucht, Lösungen aufzuzeigen. Eine Studie der ETH Zürich aus dem Jahr 2019 schätzt, dass rund ein Drittel der für den menschlichen Verzehr bestimmten Lebensmittel es nicht bis zum Gaumen der Konsumierenden schafft. Was sind die Ursachen für die hohen Verluste und wo liegen mögliche Ansatzpunkte in der Beschaffung? Es kann verlockend sein, beim Thema Food Waste einfache Antworten zu suchen und mit dem Finger auf einzelne Akteure zu zeigen. Bei eingehender Beschäftigung mit dem Thema wird jedoch klar, dass dies nicht zielführend ist. Die Zusammenhänge sind oft komplex und häufig werden anfallende Lebensmittelverluste durch Entscheidungen in späteren Stufen der Wertschöfpfungskette ausgelöst oder beeinflusst. Nehmen wir das Beispiel der Kleie, eines Nebenprodukts aus der Mehlproduktion. Es fällt vor allem an, wenn andere Mehle als Vollkornmehl produziert werden. Obwohl immer noch essbar und voller Ballaststoffe, finden sich (momentan noch) zu wenige Konsumierende, die entweder hauptsächlich Vollkornprodukte verzehren möchten oder die Kleie separat im Müesli oder beim Backen verwenden. Ein beträchtlicher Teil dieses Lebensmittels landet deshalb im Tierfutter. 

Die Verluste zu verfüttern oder zu Biogas zu vergären, löst doch zumindest das Umweltproblem dieser Verluste, oder? Analysen zeigen, dass die grösste Umweltbelastung bei der Produktion der Lebensmittel anfällt. Eine Verwertung zu Energie ist sicher sinnvoll, bringt im Vergleich zur Herstellung aber wenig Umweltnutzen. Aus Umweltsicht ist es daher besser, die Verluste gleich von Beginn weg zu vermeiden. Ziel muss folglich auch aus Sicht der Umwelt sein, dass möglichst alle essbaren Anteile an Lebensmitteln auch wirklich für die menschliche Ernährung verwendet werden und Verluste so weit als möglich gar nicht anfallen. Dafür sind viele Ansätze an mehreren Orten nötig. Gleich 14 Massnahmen umfasst denn auch der Aktionsplan des Bundes gegen Lebensmittelverschwendung. 

Eine dieser 14 Massnahmen hat zum Ziel, die Beschaffung als Hebel zu nutzen, um Lebensmittelverluste zu minimieren. Denn auch da besteht die Möglichkeit, wichtige Parameter von Anfang an einzubringen. So können zum Beispiel bei der Ausgestaltung der Kriterien oder der Ausarbeitung eines Rahmenvertrages bereits wichtige Punkte aufgenommen werden, die zu einer Reduktion der Lebensmittelverluste führen. Vor allem bei der Beschaffung von Verpflegungsdienstleistungen kann dabei auf bestehende und etablierte Kriterien zurückgegriffen werden. Die wichtigsten werden vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) in der Beschaffungshilfe «Empfehlungen für die nachhaltige öffentliche Beschaffung im Bereich Ernährung» zusammengefasst, welche auch spannende Anhaltspunkte für Beschaffende in der Privatwirtschaft enthält. Hauptpunkt in der Gastronomie ist die regelmässige Durchführung von Messungen der Lebensmittelverluste. Die Erfahrung von Expertinnen und Experten, welche Gastronomiebetriebe beraten, ist deutlich: Eine Messung ergibt nicht nur wertvolle Daten, um beispielsweise einen Reduktionspfad darstellen zu können, esr macht die Verluste auch sichtbar und bringt sofort wichtige Erkenntnisse. Anstatt in den dunklen Biomüllkübeln werden die Verluste in transparenten Behältern gesammelt, bevor sie entsorgt werden. Dabei werden die Hauptanteile der Verluste (z.B. viel Brot) sichtbar und es können gezielt Massnahmen ergriffen werden, um diese Anteile zu reduzieren. Im Rahmen der branchenübergreifenden Vereinbarung zur Reduktion der Lebensmittelverluste hat das BAFU zusammen mit Unternehmen und Verbänden aus der Lebensmittelindustrie wichtige Leitfäden erarbeitet, in welchen die Messmethoden beschrieben werden. Auch eine Liste an möglichen Massnahmen ist zur Inspiration bereits enthalten. Dass diese Leitfäden in der Praxis anwendbar sind, beweisen die Unterzeichnenden Unternehmen, welche die Methodik umsetzen. So messen etwa mehrere Gastronomieanbieter jährlich ihre Verluste und können ihre Reduktionen dokumentieren. Die Erfordernis, diese Messung durchzuführen, kann dabei als technische Spezifikation gleich in der Beschaffung aufgenommen werden. 

Wie bereits erwähnt, gibt es komplexe Wechselwirkungen zwischen den Stufen Landwirtschaft, Produktion, Gross- und Detailhandel, Gastronomie und den Haushalten. Bei allen Beschaffungen, bei denen es um Lebensmittel geht, besteht daher die Möglichkeit, die Auswirkungen betreffend Lebensmittelverlusten auf den anderen Stufen bereits mitzudenken und nach Lösungen Ausschau zu halten. Könnte ich explizit einen Anteil an weniger nachgefragten Lebensmitteln fordern? Verlange ich von den Lieferanten konkrete Massnahmen zur Reduktion der Verluste? 

Dass sich die Integration von Massnahmen zur Reduktion von Lebensmittelverlusten in den Ausschreibungsunterlagen auch wirtschaftlich lohnt, beweist das Beispiel des Bürgerspitals Solothurn, welches auch am Anlass von procure.ch vom 23. Januar 2025 im Bernapark vorgestellt wurde. Dank der Messung von Lebensmittelverlusten, einem begleitenden Projekt (unterstützt durch Reffnet) und gezielten Reduktionsmassnahmen konnte innerhalb eines Jahres eine Reduktion der Lebensmittelverluste von 52 Prozent erzielt werden. Dies entspricht einer Einsparung an Warenkosten von ca. 220000 Franken pro Jahr. 

Das BAFU wird dieses Jahr einen Zwischenbericht an den Bundesrat zum Stand des Aktionsplans erstellen. Gleichzeitig wird die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor im Rahmen der branchenübergreifenden Vereinbarung weitergeführt. Die Vereinbarung bleibt zur Unterzeichnung offen und entfaltet ihre grösste Wirksamkeit bei möglichst hoher Breitenwirkung. Die nötigen Kriterien in die Beschaffungsunterlagen aufzunehmen, stellt einen kleinen, aber wichtigen Schritt hin zu einer grösseren Wirkung dar. Und im absoluten Idealfall wären dann bald auch Vollkornprodukte, krumme Rüebli und frische Molkedrinks in Ihrer Kantine erhältlich.

 

Jonathan Brünggel

Jonathan arbeitet seit 2022 beim Bundesamt für Umwelt und ist Projektleiter des Aktionsplans gegen Lebensmittelverluste. Er hat ursprünglich ein Jurastudium gemacht und mehrere Jahre in der humanitären Hilfe der Schweiz im Aussendepartement gearbeitet. Als ehemaliger Zivi bei der Organisation Schweizer Tafel kennt er das Thema Lebensmittelverschwendung auch aus erster Hand.

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