«Zu viele Kriterien verderben den Brei»
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Die Vergabestellen bzw. deren Einkäuferinnen und Einkäufer sind in der Festlegung der Eignungs- und Musskriterien grundsätzlich sehr frei – die rechtliche Schranke liegt dort, wo durch zu hohe Anforderungen der Anbieterkreis zu stark eingeschränkt oder gewisse Anbieter unsachlich diskriminiert werden. Ebenso sind Kriterien, bei denen der sogenannte Sachzusammenhang fehlt, unzulässig.
In Bezug auf Vorgaben wie Vertragsbedingungen besteht – abgesehen von der hohen Grenze des Marktmissbrauchs – keine Möglichkeit, als Anbieter dagegen Beschwerde zu führen. Aber auch Beschwerden gegen zu markteinschränkende oder unsachliche Kriterien sind sehr selten.
Dieses «Wunschkonzert» kann dazu verleiten, sowohl bei den Eignungs- als auch bei den Musskriterien zu übertreiben. So finden sich in öffentlichen Ausschreibungen immer wieder sehr einseitige Vertragsbedingungen, sei dies der Ausschluss von Preisanpassungen über längere Vertragsdauer, sehr kurze Termine und Konventionalstrafen, aber auch sehr einseitige Risikoübertragungen (Haftungsklauseln).
Anbieter reagieren auf zu viele oder zu einseitige Vorgaben in der Regel gleich: Entweder sie verzichten auf eine Angebotsabgabe oder sie preisen die Nachteile ein. Beides entspricht nicht dem Zweck des öffentlichen Beschaffungsrechts, der wirtschaftlichen Verwendung der öffentlichen Mittel, bzw. dem Ziel, das Angebot mit dem besten PreisLeistungs-Verhältnis zu ermitteln.
Wenn aber bei einem öffentlichen Vergabeverfahren nur wenige Anbieter überhaupt ein Angebot einreichen, kann dieses Ziel nicht erreicht werden. Zudem besteht bei zu hohen Anforderungen oder zu vielen Kriterien immer die Gefahr, dass Anbieter respektive Angebote ausgeschlossen werden müssen, obwohl diese Angebote sachlich betrachtet durchaus ein gutes Preis-LeistungsVerhältnis aufweisen.
Öffentliche Einkäuferinnen und Einkäufer, die feststellen, dass in ihren Ausschreibungen nur wenige Angebote eingehen oder bei denen immer wieder mehrere Angebote aus formellen oder inhaltlichen Gründen ausgeschlossen werden müssen, sollten ihre Ausschreibungsstrategie und insbesondere die Festlegung der Eignungs- und Musskriterien kritisch überprüfen.
Es ist durchaus wichtig, mit den Eignungsund Musskriterien die inhaltlichen und qualitativen Leitplanken an Anbieter und Leistung zu definieren. Diese Leitplanken dürfen aber nicht zu Absperrungen werden, die einen offenen und wirtschaftlichen Wettbewerb verunmöglichen oder zu stark einschränken.
Prüfschema für die Wahl von Eignungs- und Musskriterien
Bei der Festlegung der Muss- und Eignungskriterien sollte daher anhand des folgenden Prüfschemas deren Notwendigkeit und Ausgestaltung verifiziert werden:
1. Welches Ziel wollen wir mit dem Kriterium erreichen, welche Eignung oder Anforderung soll damit sichergestellt werden?
2. Braucht es diese Eignung/Anforderung überhaupt, damit die ausgeschriebene Leistung gut erfüllt werden kann?
3. Ist das Kriterium geeignet, die Anforderung/Eignung nachzuweisen?
4. Könnte das Kriterium weniger streng formuliert werden, um den beabsichtigten Zweck immer noch zu erreichen?
5. Können genügend Anbieter/Angebote diese Anforderung erfüllen, besteht überhaupt noch ein Wettbewerb?
Und ganz wichtig:
6. Können genügend Anbieter alle Anforderungen zusammen erfüllen?
Gerade die letzte Frage der Checkliste wird immer wieder vergessen. Oft werden Kriterien definiert, die im Einzelnen durchaus ihre sachliche Begründung haben, aber in ihrer Gesamtwirkung den Markt zu stark einschränken. Es ist immer zu beachten, dass nur Anbieter, welche alle Anforderungen zusammen erfüllen, zur Angebotsbewertung zugelassen werden können.
Vorgängige Marktanalyse
Kriterien sollten immer anhand einer spezifischen Marktanalyse ausgewählt werden. Wenn etwa ein neueres Produkt oder eine neue Leistung ausgeschrieben wird, kann bei den Referenzen nicht der Nachweis von mehreren Jahren Erfahrung oder zu vielen Referenzprojekten mit vergleichbaren Leistungen verlangt werden.
Weniger ist oft mehr
Eignungs- und Musskriterien sollen letztlich nicht darüber entscheiden, welche Anbieterin den Zuschlag erhält – dies ist die Aufgabe der Angebotsbewertung im Rahmen der Zuschlagskriterien. Entsprechend sind die Eignungs- und Musskriterien so zu wählen, dass diese noch einen genügenden Wettbewerb und eine Evaluation nach den Zuschlagskriterien ermöglichen.

Christoph Schärli ist selbst - ständiger Rechtsanwalt und Dozent für öffentliches Be schaffungsrecht sowie Co-Founder und Head Product der submissio AG, welche mit der Software submissi.o. eine digitale Lösung zur Durchführung öffentlicher Beschaffungen anbietet.
Mehr Informationen auf www.submissio.ch und www.schaerli-recht.ch
