«Experience Day» für Profis aus dem Import und Export – procure.ch

«Experience Day» für Profis aus dem Import und Export

Publiziert am Autorin: Claudia Feusi

Grenzen mühelos zu überschreiten, das ist eines der zentralen Ziele des internationalen Warenhandels. Diesem Motto folgte die dieses Jahr erstmals hybrid durchgeführte «Fachtagung Export/Import» in besonderem Mass, indem sie die Teilnehmenden virtuell auf eine Weltreise an pulsierende Orte des Handels mitnahm.

Verschieben sich die Beschaffungsmärkte? Ist der Trend hin zu europäischen Lieferanten nachhaltig? Und wie wird sich der Welthandel durch die Rivalitäten zwischen China und den USA verändern? Wie verändern sich die internationalen Märkte? Dies waren einige der zahlreichen Fragestellungen, die im Fokus der diesjährigen Fachtagung Export/Import standen und sowohl unternehmerisch als auch politisch durchleuchtet wurden. 

Politisch brisante Vereinfachungen

Gestartet wurde die Tagung fulminant mit einer exklusiven Videoreportage zu illegalem Frachtgut, das vom Zoll beschlagnahmt wurde. Ein bewusst gewählter Einstieg, um aufzuzeigen, wie wichtig die Arbeit des Grenzschutzes ist. Marco Benz (Sektionschef Grundlagen) von der eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) war live vom Berner Headquarter aus mittels grossem Screen dem Podiumsgespräch zugeschaltet. Er gewährte Einblick in das wohl grösste Transformationsprojekt der Bundesverwaltung – die Digitalisierung und Neuorganisation des schweizerischen Zolls (Projekt DaziT). Mit DaziT will der Zoll die Prozesse für die Erhebung von Zöllen und Abgaben vereinfachen und durchgehend digitalisieren. Dabei wird die EZV komplett neu ausgerichtet und erhält auch einen neuen Namen – «BAZG» (Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit). Die Teilnehmenden und Experten debattierten anschliessend vor Ort in Olten über anspruchsvolle Zollrechtsfragen. Karl Strohhammer von ZFEB (Zollschule) beleuchtete danach die konkreten Auswirkungen von DaziT für international tätige Schweizer Unternehmen. Dabei interessierte insbesondere die Frage, ob das neue Zollgesetz besser oder schlechter ist für Importeure und Exporteure. Die Anwesenden erhielten hierzu einen direkten Einblick in das laufende Vernehmlassungsverfahren zum neuen Zollgesetz. 

Verhandlungen und Abkommen

Den Teilnehmenden wurde aber auch Einblick in globale Märkte gewährt. So durchleuchtete unter anderem Nicolas Stephan (Ressortleiter Volkswirtschaft bei Swissmem) die Entwicklung der Exporte in einzelne Märkte sowie die Auswirkungen der laufenden Diskussionen im Parlament zum Abbau von Industriezöllen auf die MEM-Industrie. Genauer ins Visier genommen wurden ebenso die stockenden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Indien und die BAK-Economics-Studie zur Nutzung von Freihandelsabkommen. Im Brennpunkt stand beispielsweise die Frage, was der stärkeren Nutzung von Freihandelsabkommen im Weg steht, denn aktuelle Studien belegen klar, dass die MEM-Branche innert vier Jahren nach Inkrafttreten kumuliert eine Zunahme von 19 Prozent bei den Exporten verzeichnen konnte. Als Hindernisse wurden die Komplexität der damit verbundenen Aufgabe wie die Ursprungskalkulation genannt, aber teilweise auch mangelnde Fachkenntnisse. 

Einig war man sich auch, dass der zunehmende Protektionismus zu einer Verschärfung der tarifären und nicht tarifären Hürden führt und bisher eher hintergründige Themen wie Freihandelsabkommen, Zollprozesse und Zollabgaben in global volatilen Zeiten vermehrt auf die Agenda von Geschäftsleitungssitzungen rücken. Die Führungsetagen in den Unternehmen sind gefordert, sich in neue Themenbereiche einzuarbeiten, die klare Verantwortungsübernahme, Strategien und Konzepte nötig machen. Es gilt, bereits heute Massnahmen zu treffen, da Verstösse gegen Vorschriften zu finanziellen Einbussen führen und das Risiko einer strafrechtlichen Verurteilung ergeben. Als Unternehmen ist es daher wichtig, die konkreten substanziellen Risiken realistisch einzuschätzen und geeignete schlanke Prozesse sowie eine passende, effiziente und insbesondere gut ausgebildete Organisation zu gestalten. 

Kulturelle Hürden fordern Mut

Das Jahr 2020 fordert von allen Wirtschaftsbeteiligten besonders viel Mut. Mit viel Innovationsgeist und Engagement haben zollschule.ch und procure.ch einen hybriden Fachanlass auf die Beine gestellt. Die in der Tagungs-Ausschreibung versprochene Weltreise erforderte keine Flugreise, denn die Teilnehmenden konnten sich dank Live-Schaltungen mühelos zu unterschiedlichsten Schauplätzen auf der ganzen Welt bewegen. Sei es nach China (wo Aussenminister Ignazio Cassis mit einer China-kritischen Aussage erst kürzlich für politischen Wirbel sorgte) oder Argentinien (wo ein Freihandelsabkommen mit Mercosur geplant ist). Eine weitere Destination waren die USA. Hier verschaffte uns Thomas Gilgen, Präsident des von New York aus gesteuerten globalen Logistikdienstleisters Masterpiece International, einen authentischen Einblick in die amerikanische Kultur und aktuelle Themen der internationalen Transportlogistik. 

Hinter den Kulissen

Die Fachtagung war überraschend frisch und lebendig. Vielleicht liegt dies an der Frauenpower des Organisationsteams? Fakt ist, dass unbeabsichtigt in dem üblicherweise von Männern dominierten Umfeld ausschliesslich Frauen am Werk waren, sei es bei der Anlasstechnik, der Anlassorganisation oder der Tagungsleitung. Zudem wurde bei den Referenten und Referentinnen auf eine gesunde Durchmischung von Altersgruppen geachtet. Abgerundet wurde die Tagung aber definitiv mit viel Frauenpower: Die Ladies in Logistics und die Ladies im Einkauf haben in einem gemeinsamen Referat kritische Punkte bei der Zusammenarbeit mit Logistikdienstleistern auf den Punkt gebracht.

Tagung fand grossen Anklang

Die zahlreichen Rückmeldungen und Dankesmails an die Veranstalter zollschule.ch und procure.ch lassen darauf schliessen, dass die Teilnehmenden den Tag trotz salzigen Themen genossen haben. 

Insbesondere die Workshops mit «Insider»-Informationen zu fachlichen Neuerungen seien wertvoll gewesen. Besonders geschätzt wurde einerseits der Einblick in die täglichen Herausforderungen von Unternehmensvertretern in puncto Import/Export, der auch den Erfahrungsaustausch vor Ort in den Pausen prägte. Aber auch die Möglichkeit, Fragen unkompliziert einzubringen, sowie die Diskussionen zu kritischen Punkten wie beispielsweise die in Unternehmen oftmals noch nicht vorhandene interne Zollorganisation. 

Claudia Feusi

Die Autorin ist Aussenhandelsexpertin sowie Geschäftsführerin von ZFEB Customs & Trade Consultants.