Die Bedeutung der Beschaffung
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Dass es im Einkauf um weit mehr geht als nur um Preisverhandlungen mit Lieferanten, dürfte spätestens seit der Pandemie klar sein. Beispielsweise führten die Lockdowns in China 2022 sowie der gleichzeitig tobende Ukraine-Krieg laut einem Bericht von Economiesuisse vom Juni 2022 zu einer Verknappung der Rohstoffe und Störungen der Lieferkette. Das machte die Abhängigkeiten auf glober Ebene deutlich. Doch die Pandemie hat auch gezeigt, wie wichtig stabile Beziehungen mit Lieferanten sind. Patrizia Hermann, über 15 Jahre Einkäuferin im mittlerweile geschlossenen Warenhaus Jelmoli, sagt: «Ich war im Bereich Unterwäsche tätig. Da ist der Touch sehr wichtig.» Das Risiko, etwas ungesehen zu bestellen, sei entsprechend gross gewesen und die Qualität habe nicht immer überzeugt. «Doch wir sind durch Corona mit den Lieferanten auch näher zusammengerückt und haben viel Goodwill erlebt.»
Ein Must-have: Agilität
Durch die Coronapandemie habe sich darüber hinaus etwas Grundlegendes im Einkauf verändert. «Firmen mussten sich zwangsläufig mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzen. Man konnte nicht mehr ausweichen», so Hermann. Sie spricht Verhandlungen über Teams an und Verkäufer, die ihre Waren auch nach Corona teilweise nur noch online präsentierten. Die Digital Procurement Survey 2024 von Deloitte zeigt, dass das Thema Digitalisierung die Firmen nach wie vor stark begleitet. Im Fokus steht dabei unter anderem die Digitalisierung von Prozessen. Allerdings sind nebst Effizienzsteigerung und Kostenoptimierung neue Beweggründe hinzu gekommen, etwa der verstärkte Ruf nach Transparenz oder die gestiegenen Anforderungen an die Compliance.
Eine Deloitte-Umfrage vom August 2023, bei der weltweit fast 350 Beschaffungsleiter befragt wurden, zeigt zudem auf, dass im Einkauf heute mehr denn je Agilität gefragt ist. Die Autoren der Umfrage kommen zum Schluss, dass das globale Geschäftsumfeld weiterhin volatil, unsicher, mehrdeutig und vielschichtig sein wird. Zudem sei auch die Komplexität innerhalb der Unternehmung nicht zu unterschätzen.
Strategische Integration als Schlüssel zum Erfolg
Einen innovativen Ansatz für modernes Procurement bietet das Aargauer Agilitätsmodell von Andreas Kyburz, Geschäftsführer von procure.ch. Das Modell verbindet die zeitliche Dynamik von Einkaufsprozessen mit der Integration verschiedener Unternehmensfunktionen und stellt anschaulich die Zusammehänge der unternehmerischen Funktionen des Procurements auf. «Es berücksichtigt dabei die interne und externe Vernetzung der Beschaffung und macht sie somit sicht- und erkennbar», betont Kyburz in seiner Analyse.
Die Besonderheit des Modells liegt in seiner dualen Betrachtungsweise: Auf der horizontalen Achse werden Prozessabläufe und deren zeitliche Dimension abgebildet, während die vertikale Achse die organisatorische Vernetzung des Einkaufs mit anderen Unternehmensbereichen visualisiert. Diese Darstellung ermöglicht es Einkaufsverantwortlichen, Schnittstellen und Abhängigkeiten klar zu identifizieren und strategisch zu nutzen. «Je länger ein Prozess auf der Zeitachse dauert, desto grösser ist der Schnittstellenbezug zum Einkauf», erläutert Kyburz die grundlegende Logik des Modells.
Kein Papiertiger, sondern ein Werkzeug für die Praxis
Von besonderem Interesse für CPOs dürfte die Integration übergreifender Themen wie Digitalisierung, Risikomanagement und Nachhaltigkeitsaspekte sein, die als Querpfeile im Modell dargestellt werden. Diese Visualisierung unterstützt bei der Priorisierung strategischer Initiativen und der Kommunikation mit der Geschäftsführung. «Das Modell hilft dabei, den Stellenwert des Einkaufs auf Ebene der Unternehmensleitung zu kommunizieren», unterstreicht Kyburz den praktischen Nutzen. Das Modell wurde bereits in der Praxis erprobt und hat sich dabei als Werkzeug für die strategische Positionierung des Einkaufs bewährt. Es ermöglicht eine systematische Standortbestimmung und unterstützt bei der Entwicklung agiler Einkaufsstrategien. Durch seine flexible Struktur können Unternehmen das Modell an ihre spezifischen Bedürfnisse anpassen und als Basis für die kontinuierliche Weiterentwicklung ihrer Einkaufsorganisation nutzen.
Quellen:
- Deloitte (August, 2023): Umfrage unter Chief Procurement Officers weltweit: www.deloitte.com/ch/de/services/consulting/research/procurement-strategy.html
- Economiesuisse (Juni, 2022), Unternehmen besorgt. Lockdowns und der Ukrainekrieg verschärfen Lieferengpässe: www.economiesuisse.ch/de/artikel/unternehmen-besorgt-lockdowns-und-der-ukrainekrieg-verschaerfen-lieferengpaesse
- Andreas Kyburz (2024), Stellenwert des Einkaufs (Print)
- PwC Global (2024), Digital Procurement Survey: www.pwc.ch/en/publications/2024/ch-publication-2024-PwC-Digital-Procurement-Survey-EN.pdf

Désirée Klarer ist freie Journalistin aus Zürich und schreibt gerne über Themen, die bewegen, und interviewt dazu jene, die etwas zu sagen haben. Wie das geht, hat sie im Bachelorstudium Journalismus und Organisationskommunikation an der ZHAW gelernt. Später hat Désirée an der HSLU einen Master in digitalem Marketing absolviert.