Wilder Westen im Einkauf: Zur Nutzung von KI im Einkauf
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Grundlagen schaffen «Beyond ERP»
Machine-Learning-Modelle sind so gut wie die Datenbasis, mit der sie trainiert wurden. Da diese Modelle keinen Wahrheitsanspruch haben, sondern auf statistischen Methoden beruhten, ist weiterhin die Qualität und Verfügbarkeit der Ausgangs- und Bezugsdaten von kritischer Bedeutung. Für die unternehmensspezifischen Anwendungen im Einkauf gilt es, eine Reihe von Daten aus verschiedenen Systemen zur Verfügung zu stellen: Planungs- und Auftragsdaten aus dem ERP, SRM, Vertragsmanagement, Qualitätssicherung, Lieferantenauditberichte usw. Daher ist eine Sichtung der relevanten Systeme und die Integration von Daten und Dokumenten aus diesen Systemen notwendig um deren Qualität zu prüfen.
Copilot (Microsoft oder aus der Einkaufs-Suite)
Copiloten sind KI gestützte Werkzeuge, die die Mitarbeitenden bei ihren täglichen Aufgaben unterstützen. Bei Microsoft-Produkten sind das üblicherweise: Texte schreiben, Datenanalyse, Präsentationen erstellen usw. Mitarbeitende geben ihre Aufgabenstellung als sog. Prompt ein. Für die Microsoft Produkte sind es unterschiedliche KI-Modelle für Excel, Word, OneNote oder Outlook. Ebenfalls können strukturierte (Tabellen) und unstrukturierte Daten (Texte) eingebunden werden. Normalerweise sind Microsoft-Produkte nicht mit dem operativen System verbunden. Mit sog. Agenten können auch diese Daten zugänglich gemacht werden. Inzwischen werden in vielen und für viele führende SRM-Tools ebenfalls Copiloten angeboten. Der Vorteil ist, dass diese SRM-Tools bereits aktuelle Daten aus dem operativen System übernehmen und mit unstrukturierten Daten (freie Texte) anreichern können. So können beispielsweise Bestell- und Lieferstatus mit aktuellen Nachrichten über die Lieferanten und der Beschaffungsregion verknüpft und die Lieferrisiken schneller und effizienter abgeschätzt werden.
- Einsatz von ChatGPT im strategischen Lieferantenmanagement, Lieferkettengesetz, Risk Management
In verschiedenen Trainings zum SCM, Lieferkettengesetz und Risikomanagement für Fach- und Führungskräfte im Einkauf verwende ich zunehmend LLM, um die Potenziale zur Effizienzsteigerung im strategischen Einkauf zu zeigen. Der einfache Zugang und die benutzerfreundliche Nutzung der LLM überzeugen spontan: Vorgehensweisen, Lieferkettenanalyse, Risiken in der Lieferkette und sogar eine Auswahl von Massnahmen lassen sich in kürzester Zeit erzeugen. Da die LLM keine Informationen liefern, sondern nur gut formulierte und plausible Aussagen, verschiebt sich die Aufgabe hin zur Prüfung und Validierung der KI-Ergebnisse. Nutzer müssen wesentlich stärker und genauer die Ergebnisse hinsichtlich der Fakten prüfen. LLM können nicht sagen, dass sie unzureichende Daten haben. Sie können auch nicht über Sinn und Unsinn der Ergebnisse entscheiden. Daher ist die KI-unterstützte Kommunikation mit den Lieferanten nur bedingt hilfreich.
Mehr Value Added Services im Einkauf
Mit fortschreitendem Einsatz von Prozessautomatisierungen im Einkauf (z.B. durch CRM Systeme, Kataloge, ...) sind auch die Beziehungen zu den Stakeholdern betroffen. Neben der Automatisierung findet auch ein Transfer von Tätigkeiten zu den Stakeholdern statt: «serve yourself«, «help yourself» oder der Chatbot wird zum Standard, um den Einkauf von repetitiven Aufgaben zu entlasten. Dazu gehören Aufgaben wie Selbstregistration der Lieferanten, Re-Auditierung der Lieferanten (Self-Audit), Nutzung des Einkaufskatalogs usw. Durch diese Massnahmen besteht die Gefahr, dass das Stakeholder Management vernachlässigt wird, anstatt durch die freigewordenen Ressourcen die Beziehungen zu Kunden, Lieferanten sowie internen Funktionen Marketing, Finanzen und IT verstärken. Die intensivere Betreuung der Stakeholder wird zu einem Ideenpool zur Steigerung von Wertbeiträgen für das Unternehmen
Cyber Security in der Lieferkette
Die zunehmende Digitalisierung im Einkauf führt zu einer stärkeren digitalen Vernetzung mit dem Umfeld. Eine der Herausforderungen ist, dass beim Einsatz von LLM die Daten auf einen externen Server geladen werden. Man darf annehmen, dass Unternehmen die Verwendung von LLM unter Verwendung von Firmendaten sehr restriktiv handhaben werden. Eine der Herausforderungen ist, dass der Einkauf zunehmend auch zum Einfallstor von Cyberangriffen wird. Das Bundesamt für Cyber Security (BACS) meldet eine Verdoppelung der Angriffe innerhalb eines Jahres. Das BACS warnt vor allem vor der gefürchteten Technik «Chain Phishing», bei der die Erpresser E-Mail-Postfächer von Lieferanten in Besitz nehmen und an die gespeicherten Kundenkontakte schädliche E-Mails versenden. Da der Einkauf den Absender kennt und ihm vertraut, nimmt die Wahrscheinlichkeit deutlich zu, dass er getäuscht und selbst gehackt wird. Zugleich hat das BACS die ersten Betrugsversuche unter Einsatz von künstlicher Intelligenz registriert.
Aussicht
LLM-Modelle und Copiloten sind durch ihren einfachen Zugang, ihre mühelose Bedienung und die überzeugenden Antworten auf dem Vormarsch und werden den Arbeitsalltag im Einkauf verändern. Derzeit scheint es überwiegend eine leichtfertige Test- und Spielwiese zu sein, auf der einzelne Personen positive wie negative Erfahrungen sammeln. Die Anwendung im Unternehmen birgt nicht abschätzbare Gefahren. Eine Strategie zur Nutzung, wer, wo, wie und wozu damit umgeht, soll, fehlt in vielen Fällen. Sie ist aber zwingend notwendig.

Prof. Dr. Ing. Herbert Ruile ist Geschäftsführer von Logistikum Schweiz, einem Bildungs- und Forschungszentrum für Einkauf, Logistik und SCM.